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Life Sciences & Gesundheitsrecht

Die Presse: Telemedizin vor dem EuGH – Das Urteil


Autor:innen: Thomas Riesz, Alexander Hiersche, Mathis Fister, Gisela Ernst und Dominique Korbel

Die Praxisgruppe Life Sciences & Gesundheitsrecht klärt in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Die Presse über das wegweisende Urteil des EuGH auf. Zudem erschien ein weiterer Beitrag der Praxisgruppe zum Thema „Künstliche Intelligenz in der Medizin – Innovationspotenziale trotz Regulierung optimal nutzen“. Die zwei Artikel können Sie hier lesen.

Wie in unserem Blogbeitrag im Mai berichtet, beschäftigte sich der EuGH dieses Jahr erstmals mit der Frage, was Telemedizin ist und welcher Rechtsrahmen auf die Ausübung grenzüberschreitender Telemedizin anwendbar ist.

Das Urteil in diesem wegweisenden Verfahren (EuGH C-115/24), an dem unsere Kanzlei mitwirken durfte, wurde kürzlich veröffentlicht und gibt Aufschluss über einige zentrale Fragen, die in den letzten Jahren unionsweit diskutiert wurden.

Was ist Telemedizin?

Zunächst zur Frage, was im unionsrechtlichen Kontext denn überhaupt unter Telemedizin zu verstehen ist. Der EuGH nimmt hier eine sich über mehrere Seiten erstreckende grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung vor, die mehrere Unionsrechtsakte ( Patientenmobilitätsrichtlinie [RL 2011/24/EU], E-Commerce Richtlinie [RL 2000/31/EG] und RL 2015/1535/EU) sowie die Mitteilung der Kommission über den Nutzen der Telemedizin (KOM[2008]689) einbezieht.

Er stellt hier zunächst fest, dass der Begriff „Telemedizin“ durch die Nennung in Art 3 lit d der RL 2011/24/EU ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist. Bereits aus dem Wortlaut („Tele“) geht laut EuGH hervor, dass sich der Begriff nur auf medizinische Leistungen bezieht, die im Fernabsatz erbracht werden (Rn 63).

Da Telemedizin im Kontext der RL eine Ausnahme im Rahmen der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen darstellt, ist der Begriff eng auszulegen (Rn 65). Da es sich im Zusammenhang der RL zudem um eine Form der „Gesundheitsversorgung“ handelt, ist auf diesen Begriff abzustellen, der gemäß Art 3 lit a der RL 2011/24/EU als „Gesundheitsdienstleistungen, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, einschließlich der Verschreibung, Abgabe und Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten“ definiert wird.

Hinzu kommt, dass aus der ebenfalls zu beachtenden Definition des „Dienstes der Informationsgesellschaft“ nach RL 2000/31/EG und Anhang I der RL 2015/1535/EU abzuleiten ist, dass Telemedizin nur dann vorliegt, wenn Leistungserbringer:in und Patient:in nicht am selben Ort anwesend sind und die Leistung unter Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien erfolgt. 

Keine Telemedizin liegt demnach vor, wenn Leistungeserbringer:in und Patient:in gleichzeitig am selben Ort anwesend sind.

Welcher Rechtsrahmen ist zu beachten?

Nach dieser umfassenden Abgrenzung des Begriffs Telemedizin erörtert der EuGH in seinem Urteil, dass auf grenzüberschreitende telemedizinische Leistungen die Bestimmungen jenes Mitgliedstaates anwendbar sind, in denen der/die Leistungerbringer:in ansässig ist (Rn 102). Man spricht hier vom sogenannten Herkunftslandprinzip.

In diesem Zusammenhang wird auch das Verhältnis der E-Commerce Richtlinie (RL/2000/31/EG) und der Patientenmobilitätsrichtlinie (RL 2011/24/EU) erörtert, diese Patientenmobilitätsrichtlinie lasse die Anwendbarkeit der E-Commerce Richtlinie unberührt, eine Leistung kann also sowohl Gesundheitsversorgung im Rahmen der Telemedizin iSd Art 3 Abs lit d der RL 2011/24/EU als auch ein Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der Richtlinie 2000/31/EG sein.

Beide Richtlinien sehen für rein telemedizinische Leistungen das Herkunftslandprinzip vor. Es sind somit die Rechtsvorschriften jenes Mitgliedstaates anwendbar, in denen der/die Leistungserbringer:in ansässig ist.

Zu beachten ist jedoch, dass der EuGH – anders als der Generalanwalt in den Schlussanträgen – davon ausgeht, dass telemedizinische Elemente (wohl so gut wie immer) von physischen Behandlungselementen zu trennen sind, auch wenn beide Bestandteil einer komplexen Gesamtbehandlung sind. Für die physisch erbrachten Leistungen ist die Grundregel des Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie anzuwenden; als Behandlungsmitgliedstaat gilt  hier jener, in dem die Leistung tatsächlich erbracht wird, und somit der Aufenthaltsmitgliedstaat des Patienten. Bei komplexen Sachverhalten, wie dem Ausgangsverfahren, in dem ein Zusammenspiel zwischen physischen und digitalen Elementen erfolgte, können somit für unterschiedliche Bestandteile einer Gesamtbehandlung unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen.

Was bedeutet das für Anbieter:innen von Telemedizin?

Für alle jene, die telemedizinische Leistungen anbieten, ist das eine gute Nachricht, denn sie müssen sich nicht mit 27 unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen befassen, wenn sie unionsweit Telemedizin anbieten möchten, sondern nur mit jenen, die in dem Mitgliedsstaat gelten, in dem sie ansässig sind. Zwar wäre aus Verbraucherschutzperspektive auch eine andere Argumentation denkbar gewesen (da Verbraucher sich somit nicht auf das Schutzniveau ihres Mitgliedstaats verlassen können, sondern damit rechnen müssen, dass Leistungserbringer:innen anderen uU weniger strengen Vorschriften unterliegen), das Ergebnis ist allerdings binnenmarktfreundlich und reiht sich damit in die bestehende Judikaturlinie des EuGH ein.

Durch das Urteil ist nun auch klargestellt, dass sich Anbieter:innen im Sinne eines „Forum-Shoppings“ jenen Mitgliedstaat für ihre Niederlassung aussuchen können, in denen für ihr jeweiliges Geschäftsmodell günstige Vorschriften gelten. Ist die Leistungserbringung in diesem Mitgliedstaat zulässig, darf sie unionsweit auch grenzüberschreitend erbracht werden. Andere Mitgliedstaaten müssen dies tolerieren (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung), auch wenn dies im Rahmen der momentan zunehmenden Reglementierung von Telemedizin dazu führt, dass Mitgliedstaaten bewusst liberalere Regelungsansätze verfolgen, um einen Standortvorteil zu erzielen. Dies stellt insbesondere der grundsätzlich in den Verträgen normierten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation ihrer Gesundheitssysteme einen zentralen Einschnitt in die mitgliedstaatliche Kompetenz zu Gunsten des Binnenmarkts dar.

Was bedeutet das für Patient:innen?

Für Patient:innen bedeutet dies neben dem erwähnten Umstand, dass sie sich nicht auf das Schutzniveau ihres Wohnsitzmitgliedstaates verlassen können, auch, dass sie selbst durch die Wahl des/der Anbieter/in beeinflussen können, welchen Vorschriften die Leistung unterliegt. Dies führt zu einem breiteren Spektrum von Auswahlmöglichkeiten an Leistungen und kann insbesondere für Haftungsfragen von Relevanz sein.

Zudem stellt der EuGH in dem Urteil ausdrücklich klar, dass das Kostenersatzregime der RL 2011/24/EU, das Versicherten die Beantragung der Kostenerstattung bei grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung ermöglicht, auch für den Bereich der grenzüberschreitenden Versorgung durch Telemedizin gilt. Auch aus Patient:innensicht ergeben sich somit klarere Rahmenbedingungen für die passive Dienstleistungsfreiheit im Rahmen der Telemedizin.

Allerdings birgt die skizzierte Situation, dass die Behandlung aus physischen und digitalen Elementen besteht, zusätzliche Risiken und sorgt für zusätzliche Komplexität der Beurteilung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, was wiederum zu Verunsicherung führen könnte.

Fazit:

Der EuGH mit dem beschriebenen Urteil einen wegweisenden Beitrag zu mehr Rechtssicherheit bei der Erbringung telemedizinischer Leistungen erbracht. Auch wenn die Erläuterung mancher in diesem Verfahren gegenständlichen und in den Schlussanträgen noch näher diskutierten Fragen, wie jener der Teilbarkeit oder des Überwiegens physischer und digitaler Behandlungselemente wünschenswert gewesen wäre, stellt die Entscheidung einen Meilenstein für die Weiterentwicklung des digitalen Binnenmarkts im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen dar.

Über alle weiteren Rechtsvorschriften, die in diesem komplexen Tätigkeitsfeld zu beachten sind sowie aktuelle Entwicklungen informieren die Mitglieder unserer Praxisgruppe Life-Sciences & Gesundheitsrecht gerne.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

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Autor:innen

Porträtfoto Mathis Fister, Rechtsanwalt Haslinger/Nagele, Portrait von Julia Spicker

Mathis Fister

Rechtsanwalt
Porträtfoto Gisela Ernst, Rechtsanwaltsanwärterin Haslinger/Nagele, Portrait von Julia Spicker

Gisela Ernst

Rechtsanwaltsanwärterin
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Dominique Korbel

Rechtsanwaltsanwärterin

 

15. Oktober 2025

 
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