Zum Hauptmenü Zum Inhalt

Durchführungsverbot in der Fusionskontrolle


Zusammenschlüsse von Unternehmen, die bestimmte Schwellenwerte erreichen, bedürfen einer behördlichen Genehmigung, ehe sie vollzogen werden dürfen. Ein vorzeitiger Vollzug (sog. „Gun Jumping“) ist mit Geldbußen und sogar der Nichtigkeit der Transaktion bedroht. Zwei aktuelle Verfahren zur Europäischen Fusionskontrolle erhellen, wann ein vorzeitiger Vollzug vorliegt und welche Mittel die Europäische Kommission dagegen anwenden kann.

Illumina / GRAIL – einstweilige Verfügungen und Anmeldepflicht unterhalb der Schwellenwerte

Illumina, einUS-amerikanischer Hersteller von Geräten für die Gentechnik, und die Europäische Kommission werden keine Freunde mehr, das dürfte bereits feststehen: Nach Anträgen mehrerer Mitgliedstaaten übernahm die Europäische Kommission die Prüfung des geplanten Erwerbs von GRAIL, ein US-amerikanisches Biotechnologie- und Pharmaunternehmen, durch Illumina. Der Erwerb war zuvor von den Unternehmen in keinem Mitgliedstaat angemeldet worden. Die Entscheidung der Europäischen Kommission, den Zusammenschluss überhaupt zu prüfen, wurde postwendend durch Illumina bekämpft. Das Verfahren dazu ist noch anhängig.

Im Juli eröffnete die Europäische Kommission ein vertieftes Prüfverfahren (Phase II), um die möglichen Auswirkungen des Zusammenschlusses zu würdigen. Im August erklärte Illumina öffentlich, den Zusammenschluss – trotz des laufenden Prüfverfahrens! – vollzogen zu haben.

Darauf reagierte die Europäische Kommission nun, indem sie erstmals im Rahmen eines Zusammenschlussverfahrens einstweilige Maßnahmen zur „Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs“ setzte. Welche Maßnahmen dies konkret sind, verrät die Pressemitteilung der Europäischen Kommission bedauerlicherweise nicht.

Bemerkenswert ist der Fall noch in anderer Hinsicht: Die Umsätze der Beteiligten erreichten weder die Schwellenwerte nationaler Rechtsordnungen noch jene der Europäischen Fusionskontrollverordnung (FKVO). Die Prüfung stützt sich jedoch auf ein sehr weites Verständnis jener Fälle, die durch nationale Behörden an die Europäische Kommission herangetragen werden dürfen (Art. 22 FKVO). Dies hat die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zur Anwendung von Art. 22 FKVO erst jüngst bekräftigt (vgl Rz. 8 ff).

Altice Europe – Stillhaltepflicht zwischen Signing und Closing

Verpflichtet sich ein Unternehmen, vorbehaltlich der Freigabe durch die zuständigen Zusammenschlussbehörden ein anderes Unternehmen zu kaufen, besteht naturgemäß ein Interesse daran, dass während der Prüfdauer die Vermögenswerte des zu übernehmenden Unternehmens erhalten bleiben. Dieses Interesse anerkennt die Europäische Kommission. Jedoch darf die Vereinbarung nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um den Erhalt des Werts des übertragenen Unternehmens sicherzustellen oder die Beeinträchtigung seiner gewerblichen Integrität zu verhindern.

In der Rechtssache Altice Europe erachtete die Europäische Kommission die vertragliche Zusicherung von Vetorechten bei (i) der Ernennung und Abbestellung von Führungskräften, (ii) der Gestaltung der Preispolitik und den Geschäftsbedingungen sowie (iii) der Möglichkeit, verschiedene Verträge abzuschließen, zu beenden oder zu modifizieren, wobei sehr niedrige monetäre Schwellenwerte vorgesehen waren, als für die Erhaltung des Unternehmenswerts überschießend (siehe dazu auch unseren Fallbericht).

Diese Entscheidung wurde nunmehr durch das Europäische Gericht (EuG) bestätigt. Insbesondere bestätigte das EuG den Standpunkt der Europäischen Kommission, wonach Mitbestimmungsmöglichkeiten betreffend die (Ab-)Bestellung von Leitungsorganen typischerweise Einflussrechte begründen, wie sie erst nach erfolgter Freigabe vorliegen dürfen (Rn 114).

Und noch einen weiteren, spannenden Aspekt beleuchtete das EuG in seiner Entscheidung: Da die Nebenabreden zum Kaufvertrag, bestimmte Eingriffe und der Austausch bestimmter sensibler Informationen bereits vor der Anmeldung des Zusammenschlusses stattgefunden haben bzw. verwirklicht wurden, hat Altice sowohl gegen ihre Anmeldepflicht nach Art. 4 Abs. 1 der FKVO als auch gegen die Stillhaltepflicht nach Art. 7 Abs. 1 FKVO verstoßen hat. Dass für beide Verstöße Geldbußen auferlegt wurden, verstoße nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot (Rn 56 ff). Allerdings wurden die Geldbußen durch das EuG um 10% reduziert.

Für die Beantwortung weiterer Fragen zu diesem Thema stehen Ihnen unsere Experten Johannes Hartlieb und Alexander Hiersche aus dem Team Kartell- und Beihilfenrecht gerne zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

7. Oktober 2021

 
Zurück zur Übersicht
  • Referenz | Haslinger / Nagele, Logo: JUVE Awards
  • Logo JUVE
  • Promoting the best. Women in Law Award