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Mehr Freiraum für Umwelt- und Tierwohlinitiativen


Der „Green Deal“ macht auch vor dem Kartellrecht nicht Halt. Eine kürzlich in Kraft getretene Neuerung erleichtert Herstellern landwirtschaftlicher Produkte, aber auch anderen Marktteilnehmern, Kooperationen zur Beförderung von Umwelt- und Tierschutz.

An anderer Stelle haben wir bereits über Vorhaben nationaler Behörden berichtet, das Kartellrecht „grüner“ zu machen (siehe Umweltschutz durch Kartellrecht – geht das?). Zumindest für einen Teilbereich wurden sie nun vom EU-Gesetzgeber überholt.

Eine neue Bereichsausnahme – nicht nur – für die Landwirtschaft

Auf europäischer Ebene wurde nämlich Ende 2021 die Verordnung über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte (kurz: „GMO“) um einen Art 210a erweitert, der eine weitreichende Bereichsausnahme vom Kartellrecht für Nachhaltigkeitskooperationen durch Hersteller landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorsieht.

Die Ausnahme ist jedoch nicht auf Vereinbarungen beschränkt, die ausschließlich zwischen Erzeugern landwirtschaftlicher Erzeugnisse getroffen werden. Solange ein Erzeuger landwirtschaftlicher Erzeugnisse beteiligt ist, können in die Kooperation auch andere Marktteilnehmer auf anderen Stufen entlang der gesamten Erzeugungs- und Lieferkette einbezogen werden. Hierdurch sollen ganze „Branchenlösungen“, ermöglicht werden.

Umwelt- und Tierschutz

Die Nachhaltigkeitskooperation muss ferner einer der folgenden Zielsetzungen dienen:

  • Umweltschutz, einschließlich Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Landschaften, Wasser und Böden;
  • Reduktion des Einsatzes von Pestiziden und
  • Tiergesundheit und Tierwohl.

Maßgeblich ist, dass der vereinbarte Standard höher ist, als jener, der nach nationalem oder Unionsrecht ohnehin schon vorgeschrieben ist. Nach unserem Verständnis muss auch in Fällen, in denen kein Standard festgeschrieben ist, ein „höherer“ Standard vereinbart werden können. Um zu einem sinnvollen Auslegungsergebnis zu gelangen, wäre in solchen Fällen allenfalls auf einen in der Praxis geübten Standard oder einen solchen Standard abzustellen, der sich möglicherweise über andere Normen (z. B. über Strafbestimmungen wie Tierquälerei oder Umweltgefährdung) als Mindeststandard etabliert hat.

Maßgeblich ist, dass die mit der Kooperation verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen für das Erreichen dieses Standards unerlässlich sind. Ein Unerlässlichkeitskriterium ist bereits aus der Freistellungsregelung nach Art 101 Abs 3 AEUV bekannt und muss davon ausgegangen werden, dass Wettbewerbsbehörden auch bei Anwendung des Art 210a GMO eine ähnlich strenge Messlatte anlegen werden.

Preisabsprachen sind kein Tabu (mehr)

Anders als nach den Gruppenfreistellungsverordnungen der Europäischen Kommission, in denen Preisabsprachen oftmals als „Kernbeschränkungen“ den sicheren Hafen schließen und eine sehr strenge Einzelfallprüfung erforderlich machen, erlaubt Art 210a GMO auch ausdrücklich Preisabsprachen (wiederum: sofern diese für die Zielerreichung unerlässlich sind). Und das aus gutem Grund: regelmäßig wird die Erreichung höherer Nachhaltigkeitsstandards mit Mehrkosten verbunden sein, welche einseitig von den Erzeugern zu tragen wären, könnten sie nicht in Form von Aufschlägen weitergegeben werden, was wiederum der Einführung solcher Maßnahmen entgegenstehen könnte.

Aus unserer Sicht stellen trotz einer gewissen Zurückhaltung des Bundeskartellamts in der Anwendung der Bereichsausnahmebestimmung die deutschen Tierwohl-Initiativen (Initiative Tierwohl und QM+-Programm für Milch) Musterbeispiele für den Anwendungsbereich des neuen Art 210a GMO dar.

Mehr Klarheit sollten spätestens jene Leitlinien zur Anwendung der Bestimmung bringen, die von der Europäischen Kommission bis zum 8. Dezember 2023 auszuarbeiten und zu veröffentlichen sind. In Einzelfällen bietet auch die Bundeswettbewerbsbehörde eine informelle Erörterung eines (hinreichend klaren) Sachverhalts vor Umsetzung der geplanten Maßnahme an, wie sie in ihren jüngst veröffentlichten Leitlinien für Nachhaltigkeitskooperationen betont.

Ausblick

Dass die Klimaziele nur durch Marktmechanismen erreicht werden können, darf getrost bezweifelt werden. Allerdings können Bestimmungen wie jene des Art 210a GMO dazu beitragen, Unternehmen jenes Maß an Rechtssicherheit zu geben, das erforderlich ist, um neuartige Kooperationsformen zur Förderung des Gemeinwohls einzugehen. Die Beschränkung auf den landwirtschaftlichen Sektor liegt im Primärrecht der Europäischen Union begründet. Doch könnte ein ähnliches Maß an Rechtssicherheit bereits durch die – aktuell stattfindende – Überarbeitung von „Soft Law“-Instrumenten auch für andere Branchen erreicht werden.

Für die Beantwortung weiterer Fragen zu diesem Thema steht Ihnen unser Experte Alexander Hiersche gerne telefonisch oder unter akut@hnp.at zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

13. September 2022

 
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