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Emissionshandel zwischen Beihilfe- und Vergaberecht


Das europäische Emissionshandelssystem soll einen Anreiz zur Verbesserung der Energieeffizienz großer Industrieanlagen schaffen. Zum Ausgleich der dadurch entstehenden Kosten wird auch auf das bewährte Instrument staatlicher Beihilfen zurückgegriffen. Zur Schaffung von Rechtssicherheit hat die Europäische Kommission nun Leitlinien zur Zulässigkeit bestimmter staatlicher Beihilfen im Zusammenhang mit dem Emissionshandelssystem veröffentlicht. Dabei spielen auch vergaberechtliche Aspekte eine wichtige Rolle.

Der Handel mit Emissionszertifikaten als Instrument zur Emissionsreduktion

Das europäische Emissionshandelssystem dient der Reduktion des Co2-Ausstoßes in der Union und damit der Erreichung der von der EU gesteckten Emissions- und Klimaziele. Unternehmen, die Treibhausgase emittieren, haben für diese Emissionen Zertifikate abzugeben. Hat ein Unternehmen zu wenige Zertifikate bzw. einen zu hohen Co2-Ausstoß, so hat es Zertifikate zuzukaufen. Kann es hingegen die prognostizierte Emissionsmenge unterschreiten, so können Zertifikate gewinnbringend verkauft werden. Dies erzeugt einen Anreiz zur energieeffizienten Produktion.

Mit dem europäischen Emissionshandel sind allerdings auch gewisse wirtschafts- und klimapolitische Risiken verbunden: Dies liegt insbesondere am sog. „carbon leakage“, also an der Abwanderung bestimmter Industrien aus der Union aufgrund strenger Emissionsziele und der dadurch erfolgenden bloßen Verlagerung der Co2-Emissionen.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der mit 2021 beginnenden vierten Periode des Emissionshandelssystems hat die Europäische Kommission im Oktober 2020 einen Entwurf von Leitlinien für Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten veröffentlicht. Ab 2021 sollen diese Leitlinien die bisherigen Leitlinien ablösen. Der Entwurf befindet sich aktuell im Begutachtungsprozess (siehe hier).

Die Initiative der Kommission steht auch mit dem EU-Ziel der Klimaneutralität und dem damit verbundenen Umbau des Energiesektors in Zusammenhang („Green Deal“), zu dem auch das Wettbewerbsrecht einen Beitrag leisten soll. Dieser Umbau ist naturgemäß auch mit einer Förderung erneuerbarer Energien verbunden – wir haben vor Kurzem zum Entwurf des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) berichtet.

Beachtung verdient der Umstand, dass die Preise für Emissionszertifikate in den letzten Monaten stark gestiegen sind. Daneben sollen die Emissionszertifikate in der nächsten Handelsperiode beinahe ausschließlich über Auktionen vergeben werden – das bisherige System der Gratiszuteilung soll die Ausnahme darstellen. Auch vor diesem Hintergrund kommt den Leitlinien erhöhte Bedeutung zu.

„Carbon leakage“ und die Modernisierung der europäischen Energieinfrastruktur

Die Gewährung von staatlichen Beihilfen an private Unternehmen ist in der EU grundsätzlich verboten. Davon bestehen Ausnahmen, unter anderem die Gewährung von Sozialbeihilfen oder von Beihilfen zur Beseitigung von Schäden aus Naturkatastrophen.

Die vorliegenden Leitlinien legen die Voraussetzungen fest, unter denen bestimmte Beihilfen nach Art 107 Abs 3 lit c AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können. Demnach können Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden und somit zulässig sein. Die Zuständigkeit liegt bei der Europäischen Kommission.

Von den Leitlinien sind zwei Arten von Beihilfen erfasst:

  • Beihilfen, die für bestimmte Branchen zum Ausgleich indirekter CO2-Kosten gewährt werden. Dabei handelt es sich um erhöhte Energiekosten, die durch das Emissionshandelssystem verursacht werden.
  • Beihilfen, die von wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten für die Modernisierung des Energiesektors gewährt werden.

Im Zusammenhang mit den Modernisierungsbeihilfen stellt die Kommission klar, dass die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten eine grundsätzlich verbotene staatliche Beihilfe nach Art 107 AEUV darstellt.

Beihilferechtliche Zulässigkeit von Ausgleichs- und Modernisierungsbeihilfen

Zunächst gibt die Kommission einen kurzen Einblick in die beihilferechtliche Prüfung nach Art 107 Abs 3 lit c AEUV. Die Kommission hebt dabei hervor, dass die Beihilfe im „gemeinsamen Interesse“ liegen und der Behebung von Marktversagen dienen muss. Dies ist bemerkenswert, da der EuGH unlängst in der Rs Hinkley Point ausgesprochen hat, dass „die Vereinbarkeit einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV nicht davon ab[hängt], dass mit dieser ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird“ (Rz 39) und „dass ein solches Marktversagen keine Voraussetzung dafür ist, eine Beihilfe nach dieser Bestimmung für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären“ (Rz 66). Es bleibt abzuwarten, wie die Kommission auf diese Rechtsprechung reagieren wird.

Nach den vorliegenden Leitlinien sind Beihilfen zum Ausgleich der indirekten CO2-Kosten als mit dem Binnenmarkt vereinbar und somit zulässig anzusehen, wenn die betroffenen Unternehmen der in Anhang 1 genannten Sektoren (unter anderem die Herstellung von Holz oder Zellstoff) keine Möglichkeit haben, die gestiegenen Energiepreise ohne Verluste von Marktanteilen an die Abnehmer weiterzugeben. Die Höhe der Beihilfe darf maximal 75% der jährlichen Kostensteigerung ausmachen. Wird die Beihilfe im Jahr der jeweilig angefallenen Kosten gewährt, so ist im darauffolgenden Jahr eine entsprechende Korrektur durchzuführen, wenn die tatsächlichen von den prognostizierten Energiekosten abweichen.

Beihilfen für die Erneuerung der Energieinfrastruktur sind hingegen dann als zulässig anzusehen, wenn ihr Ziel in der Modernisierung, Diversifizierung und nachhaltigen Umgestaltung des Energiesektors besteht und sie einen Anreiz für eine Verhaltensänderung beim Beihilfeempfänger setzen. Bemerkenswert ist die Verknüpfung der Zulässigkeit derartiger Beihilfen mit der Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens, sofern der Gesamtinvestitionsbedarf EUR 12,5 Mio. übersteigt. Dieses Ausschreibungsverfahren, das den Anforderungen des EU-Vergaberechtsregimes genügen müssen, hat auch die Nachhaltigkeit der geförderten Projekte sowie eine tatsächliche Co2-Reduktion zu berücksichtigen. Daneben können max. 70% der Gesamtkosten der Investition als Beihilfe gewährt werden.

Weitere Schritte

Die Mitgliedstaaten haben eine regelmäßige Überprüfung der Effektivität gewährter Beihilfen durchzuführen und einen entsprechenden Bericht an die Kommission zu erstatten. Die Leitlinien sollen für die gesamte vierte Handelsperiode des Emissionshandelssystems gelten. Im Jahr 2025 wird eine Evaluierung der Leitlinien erfolgen, um diese gegebenenfalls anzupassen, insbesondere an allenfalls geänderte internationale Rahmenbedingungen.

Für die Beantwortung weiterer Fragen zu diesem Thema stehen Ihnen unsere Expertinnen und Experten aus dem Wettbewerbsrecht, dem Vergaberecht und dem Umweltrecht gerne zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

17. November 2020

 
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