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Compliance, Interne Ermittlungen | Haslinger / Nagele, Illustration: Karlheinz Wasserbacher

Update EU-Russlandsanktionen: Haftung durch Unterlassen bei Sanktionsverstößen?


Die kürzlich veröffentlichten, neuen FAQ der Europäischen Kommission zur sogenannten „Best Efforts“-Verpflichtung gemäß Art. 8a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 idgF werfen zahlreiche Fragen auf und verlangen Unternehmen erheblichen Anpassungsbedarf ab. Dieser Beitrag beleuchtet die wesentlichen Neuerungen sowie deren Auswirkungen auf die Praxis und die damit verbundenen Herausforderungen.

1. Wesentlicher Inhalt der neuen FAQ

Die EU-Kommission erläutert in ihren FAQ, dass die Best Efforts-Verpflichtung natürliche und juristische Personen sowie Organisationen in der EU dazu verpflichtet, sich „nach besten Kräften“ zu „bemühen“ („Best Effort“), sicherzustellen, dass außerhalb der EU ansässige Tochtergesellschaften die restriktiven Maßnahmen der EU nicht unterlaufen.

1.1 Definitionen und Abgrenzungen

Die FAQ definieren die Begriffe „Best Efforts“, „Untergraben“ und „Umgehung“ weitgehend unter Rückgriff auf die Erwägungsgründe der Verordnung und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

1.2 Anwendungsbereich

Die Verpflichtung betrifft explizit auch russische Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen. Dabei sind Unternehmen angehalten, sämtliche Aktivitäten zu unterbinden, die zur Untergrabung der EU-Sanktionen führen könnten – sei es durch direkte Exporte nach Russland oder die Nutzung von IP-Rechten wie Marken oder Patente. Im Ergebnis muss nach Auffassung der Kommission verhindert werden, dass russische Tochtergesellschaften Güter, die einem EU-Ausfuhrverbot unterliegen, aus einem Drittland nach Russland importieren und russische Güter, die einem Importverbot in die EU unterliegen, in Drittländer ausführen oder sich an solchen Ein- und Ausfuhren beteiligen.

1.3 Verhältnis zwischen Kontrolle und Durchführbarkeit

Die Kommission stellt klar, dass die Verpflichtung nur Maßnahmen umfasst, die angesichts der Größe, Struktur und Kontrolle eines Unternehmens durchführbar sind. Unternehmen, die die Kontrolle über Tochtergesellschaften durch eigene Entscheidungen eingeschränkt haben, können sich jedoch nicht auf fehlende Kontrolle berufen. Hindern lokale Rechtsvorschriften des Drittlandes (zB. Countersanctions), in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, die Umsetzung, seien nur Maßnahmen erforderlich, die für das EU-Unternehmen durchführbar sind.

2. Kritische Würdigung der FAQ

2.1 Weite Auslegung der Verpflichtung

Die weite Auslegung der EU-Kommission stellt Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere bei der Durchsetzung und Nachweisführung ihrer Bemühungen. Bisher konnte eine Zurechnung sanktionsrelevanter Handlungen einer drittländischen Tochtergesellschaft ausgeschlossen werden, wenn diese eigenständig agierte und die EU-Muttergesellschaft nicht in operative Entscheidungen involviert war („Entkoppelung“). Nach Art. 8a VO 833/2014 idgF dürfte dies – nach Ansicht der Kommission – jedoch nicht mehr ausreichen, was verstärkte Eingriffe in die Geschäftsabläufe der Tochtergesellschaft erforderlich macht.

Die Kommission sieht es bereits als Verstoß, wenn ein EU-Unternehmen von sanktionsrelevanten Handlungen Kenntnis erlangt hat, aber daraufhin nicht reagiert. Diese „Haftung durch Unterlassen“ birgt erhebliche Risiken und könnte nach Ansicht der Kommission sogar gegen das Umgehungsverbot (Art. 12 VO 833/2014 idgF) verstoßen.

2.2 Extraterritoriale Ausweitung

Die Kommission verfolgt mit ihrer Auslegung de facto eine extraterritoriale Anwendung der EU-Sanktionen. Dies steht im Widerspruch zur bisherigen EU-Praxis, die extraterritoriale Sanktionsregelungen, wie jene der USA, als völkerrechtswidrig kritisierte.

3. Handlungsbedarf für Unternehmen

3.1 Compliance-Maßnahmen

Die Kommission empfiehlt umfassende Maßnahmen, um die Best Efforts-Verpflichtung zu erfüllen. Dazu zählen:

  • Aufbau interner Compliance-Strukturen
  • Schulungen und obligatorische Berichterstattung
  • Systematische Weitergabe von Unternehmensstandards
  • Schnelle Reaktionen auf Verstöße

Die Einhaltung dieser Vorgaben erfordert jedoch erhebliche Ressourcen und stellt damit insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen vor große Herausforderungen.

3.2 Risikobewertung und Kontrolle

Unternehmen sollten eine sorgfältige Bewertung ihrer Kontrollmöglichkeiten vornehmen. Hindern lokale Gesetze in Drittländern, wie etwa in Russland, die Umsetzung von Maßnahmen, kann dies in Einzelfällen die Anforderungen mindern. Gleichzeitig betont die Kommission, dass Unternehmen sich nicht auf Hindernisse berufen können, die durch eigene Entscheidungen wie unzureichendes Risikomanagement oder Kontrollabgabe geschaffen wurden.

4. Fazit und Ausblick

Die neuen FAQ der EU-Kommission zu Art. 8a VO 833/2014 schaffen mehr Unsicherheiten, als sie beseitigen. Die weitreichende und teils vom Verordnungswortlaut losgelöste Interpretation wirft erhebliche rechtliche und praktische Fragen auf.

Unternehmen in der EU stehen vor der Herausforderung, ihre Kontroll- und Compliance-Systeme derart anzupassen, dass die Umgehung der Sanktionen nicht nur in der EU, sondern auch hinsichtlich drittländischer Tochtergesellschaften wirksam verhindert wird. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob die angekündigte Zusammenarbeit der Kommission mit den nationalen Behörden die erwünschten Klarstellungen bringt.

Bis dahin gilt: Vorsicht und gründliche rechtliche Prüfung sind oberstes Gebot! Unternehmen sollten bereits jetzt alle erforderlichen Maßnahmen einleiten, um ihrer  Best Efforts-Verpflichtung nachzukommen und sich vor möglichen Haftungsrisiken zu schützen. Unser Sanktionsrechts-Experte Thomas Baumgartner unterstützt Sie dabei gerne.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

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5. Dezember 2024

 
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