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Kartell-Beihilfenrecht | Haslinger / Nagele, Illustration: Karlheinz Wasserbacher

Fusionskontrollrechtliche Anmeldepflichten – Eine Frage des richtigen Timings?


Autor: Florian Krumbiegel

Nach einer Rekordgeldbuße iHv EUR 70 Millionen gegen REWE im Jänner 2025 und damit einer der größten Erfolge der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) seit jeher, hatte sie diesmal vor dem OGH im Zusammenhang mit einer Entscheidung zur Transaktionswert-Schwelle keinen Erfolg.

Der Fall Edwards Lifesciences/JenaValve

Mit seiner Entscheidung vom 26. März 2025 (OGH 16 Ok 2/25t) hat der Oberste Gerichtshof erstmals geklärt, unter welchen Umständen ein Unternehmen „erheblich im Inland“ iSd § 9 Abs 4 Z 4 KartG tätig sein muss, um eine Anmeldepflicht der österreichischen Fusionskontrolle auszulösen. Im vorliegenden Fall ging es um den Markt für Aortenklappenersatzprodukte. Konkret beabsichtigte die Erwerberin Edwards, sämtliche Anteile an und alleinige Kontrolle über das Zielunternehmen JenaValve zu erwerben. Das Zielunternehmen entwickelt und vertreibt ein Transkatheter-Aortenklappenersatzprodukt zur Behandlung von Aortenklappeninsuffizienz (TAVR-AR), welches derzeit als einziges Produkt dieser Art in Europa zugelassen ist. Die Erwerberin vertreibt ein Produkt zur Behandlung von Aortenstenose (TAVR-AS) und hat kürzlich ein Unternehmen erworben, das die Rechte zur Entwicklung und Vermarktung einer TAVR-AR-Klappe außerhalb Chinas besitzt.

Das geplante Transaktionsvorhaben wurde trotz des geringen nationalen Umsatzes des Zielunternehmens (EUR 57.000 im Jahr 2023; EUR 95.000 im Jahr 2024) vorsorglich im Herbst 2024 bei der BWB angemeldet. Der Umsatz setzte sich aus dem Vertrieb von lediglich acht TAVR-AR-Systemen an einen einzigen Kunden (ein Krankenhaus) im Zeitraum von 2023 bis 2024 zusammen. Aus den geringen Umsatzzahlen des Zielunternehmens wird ersichtlich, dass die Schwellenwerte des § 9 Abs 1 KartG bei weitem nicht erreicht wurden. Da Edwards jedoch plant bis zu EUR 870 Millionen für alle Anteile des Zielunternehmens zu bezahlen, wurden zumindest die ersten drei Kriterien der Transaktionswert-Schwelle (§ 9 Abs 4 Z 1–3 KartG) erfüllt. Fraglich war demnach nur noch, ob es sich bei dem Vertrieb von acht TAVR-AR-Systemen an einen einzigen Kunden um eine „erhebliche Inlandstätigkeit“ iSd § 9 Abs 4 Z 4 KartG handelt oder nicht.

Die BWB und der Bundeskartellanwalt bejahten dies und beantragten demnach eine vertiefte Zusammenschlussprüfung (Phase II) beim Kartellgericht. Der Antrag wurde damit begründet, dass durch die Zusammenführung der einzigen in Europa zugelassenen Produzentin einer TAVR-AR-Klappe mit der derzeit einzigen weiteren Alternative eine erhebliche Einschränkung des Wettbewerbs zu befürchten sei. Insbesondere auf die potenzielle künftige Marktkonzentration wurde hingewiesen.

Das Kartellgericht hat die Prüfungsanträge mangels erheblicher Inlandstätigkeit des Zielunternehmens zurückgewiesen, woraufhin die BWB sowie der Bundeskartellanwalt Rekurs beim Kartellobergericht einlegten.

Die Transaktionswert-Schwelle

Im Jahr 2017 wurde mit dem Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz 2017 ein neuer Schwellenwert für Zusammenschlussanmeldungen in das österreichische Kartellrecht eingefügt – die Transaktionswert-Schwelle. Eine inhaltsgleiche Schwelle wurde auch in Deutschland in § 35 Abs 1a dGWB eingeführt. Demnach ist eine Transaktion in Österreich trotz des Nichterreichens der Schwellenwerte iSd § 9 Abs 1 KartG anmeldepflichtig, wenn:

  • die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse von weltweit insgesamt mehr als EUR 300 Millionen erzielten,
  • die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss im Inland Umsatzerlöse von insgesamt mehr als EUR 15 Millionen erzielten,
  • der Transaktionswert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 200 Millionen beträgt und
  • das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist.

Die Transaktionswert-Schwellen sind eine Besonderheit des österreichischen und deutschen Fusionskontrollrechts. Sie fungieren als Auffangtatbestand und ermöglichen es, auch solche Zusammenschlüsse aufzugreifen, bei denen sich der Wert des Zielunternehmens nicht primär in dessen Umsatz, sondern bspw im Innovationspotenzial widerspiegelt. Die Schwelle ist bei Transaktionen in der Digital- oder Pharmaindustrie besonders relevant. Überschreitet der Umsatz eines Zielunternehmens nun die Grenze von EUR 5 Millionen iSd § 9 Abs 1 KartG nicht, kann dennoch eine Anmeldepflicht bestehen, sofern das Unternehmen „in erheblichem Umfang“ im Inland tätig ist.

In einem Leitfaden der BWB (in Kooperation mit dem deutschen Bundeskartellamt, kurz „BKartA“) wird klargestellt, dass die Faktoren bzw Kriterien zur Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle des § 9 Abs 4 Z 4 KartG grundsätzlich branchenabhängig variieren können. In so genannten „reifen Märkten“, also in Märkten, in denen Umsatzzahlen als hinreichender Indikator für die Marktpräsenz gelten, geht die BWB jedoch davon aus, dass die Erheblichkeitsschwelle jedenfalls dann nicht erreicht ist, wenn der nationale Umsatz des Zielunternehmens EUR 1 Millionen nicht übersteigt. Spiegelt der Umsatz hingegen die Marktposition sowie das wettbewerbliche Potenzial nicht angemessen wider, sind andere Kennzahlen für die Beurteilung maßgeblich zu berücksichtigen. Für die Digitalindustrie verweist der Leitfaden etwa auf die monatliche Nutzerzahl oder die tägliche Klickfrequenz einer Plattform als relevante Kennzahlen.

Aus dem Leitfaden geht auch hervor (Rz 103 ff), dass die Wettbewerbsbehörden davon ausgehen, dass beim Erwerb eines Unternehmens, das ein neu zugelassenes Arzneimittel vermarkten soll, der Schwellenwert auch dann erfüllt ist, wenn zwar vorerst noch kein signifikanter Umsatz generiert wird, ein künftiges erhebliches Umsatzwachstum jedoch realistisch erscheint. Auch inländische Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten (F&E-Tätigkeiten) können einen erheblichen Inlandsbezug begründen. Dies insbesondere, wenn etwa die Zahl der beschäftigten Forschenden, bestehende Patente oder das Forschungsbudget auf eine substanzielle Tätigkeit im Inland hindeuten. Die Erheblichkeitsschwelle gilt laut Leitfaden insbesondere dann als erfüllt, wenn ein Unternehmen samt seiner Patente übernommen wird, dessen Hauptgegenstand in der Entwicklung und künftigen Vermarktung eines Arzneimittels besteht und sich diese bereits in der Endphase (Phase III der klinischen Studien) befindet.

Zusammenfassend gehen die Wettbewerbsbehörden von einer erheblichen Inlandstätigkeit aus, wenn das Zielunternehmen bereits Umsätze erzielt, ein Produktionsstandort im Inland besteht, F&E-Tätigkeiten betrieben werden oder ein realistisches Potenzial für signifikant steigende Umsätze gegeben ist.

Entscheidung des OGH

Das Kartellobergericht urteilte nun, dass für die Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle gemäß § 9 Abs 4 Z 4 KartG ausschließlich auf den Zeitpunkt der (geplanten) Durchführung des Zusammenschlusses abzustellen ist. Zukünftige – selbst konkret geplante – Tätigkeiten in späteren Jahren sind dabei gänzlich außer Betracht zu lassen.

Folglich war es für den OGH nicht ausreichend, dass ein Zielunternehmen acht TAVR-Systeme an einen Kunden in den Vorjahren vermarktet hat, auch wenn dies zur Marktkonzentration führen würde bzw könnte. Zukünftige Entwicklungen seien für die Prüfung unerheblich. Ausschlaggebend seien ausschließlich gegenwärtige, marktbezogene Aktivitäten, wobei sich diese am Standort der Kunden orientieren.

Verfügt ein Unternehmen nicht über eine marktorientierte Geschäftstätigkeit in Österreich, sind zur Beurteilung der erheblichen Inlandstätigkeit, anerkannte branchenspezifische Kennzahlen heranzuziehen (z. B. Nutzerzahlen oder Website-Zugriffe). Der Marktanteil wurde im gegenständlichen Fall hingegen nicht als maßgebliches Kriterium für Beurteilung der Erheblichkeit gewertet (Anmerkung: JenaValve‘s Marktanteil beträgt 100 %). In diesem Punkt weicht der OGH von einer früheren Rechtsprechung in der Entscheidung „Salesforce“ (OGH 27 Kt 9/21g) ab, wonach ein Marktanteil von 5–10 % als Indiz für eine erhebliche Inlandstätigkeit angesehen wurde. Nach der aktuellen Entscheidung reicht ein einzelner inländischer Kunde, der in zwei Geschäftsjahren acht Systeme bezogen hat, demnach nicht aus, um die Erheblichkeitsschwelle zu überschreiten.

Mit dieser deutlichen Zurückweisung der Argumentation von BWB und Bundeskartellanwalt liefert der OGH eine wesentliche Klarstellung zur Anwendung des Transaktionswerttests und dessen Bedeutung für die Anmeldepflicht nach österreichischem Fusionskontrollrecht.

Blick nach Deutschland

Auch in Deutschland wurde kürzlich ein ähnliches Urteil gefällt, mit dem das OLG Düsseldorf die expansive Auslegung der Transaktionswert-Schwelle durch das BKartA einschränkte. In dem Verfahren hatte Adobe zwei weltweit tätige Softwareunternehmen übernommen, die Produkte für den E-Commerce-Bereich bzw zur Automatisierung des B2B-Marketings entwickelten und unter anderem auch in Deutschland vertrieben. Das BKartA sah darin einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss unter Anwendung der Transaktionswert-Schwelle und leitete daher ein Entflechtungsverfahren ein, obwohl der Erwerb bereits vollzogen war. Ein solcher Markt liegt nach Auffassung des Gerichts regelmäßig vor, wenn eine Software zum Zeitpunkt des Erwerbs bereits seit rund zehn Jahren – auch in Deutschland – vertrieben wird. Fehlt es an einem reifen Markt, sind für die Beurteilung der Inlandstätigkeit Indikatoren wie eine Firmenpräsenz in Deutschland, die Anzahl an Mitarbeitenden, nationale Umsätze und der Kundenstamm heranzuziehen. Maßgeblich ist jedoch stets der Zeitpunkt des Erwerbs; ein bloß abstraktes Wachstumspotenzial, das sich etwa aus dem anteilig auf Deutschland entfallenden Kaufpreis ableiten ließe, genügt nicht, um eine erhebliche Inlandstätigkeit zu begründen.

Im Übrigen wurde das Zusammenschlussvorhaben Edwards Lifesciences/JenaValve auch in Deutschland angemeldet; das deutsche BKartA verneinte das Vorliegen einer Anmeldepflicht mangels Vorliegens einer erheblichen Inlandstätigkeit in Deutschland.

Fazit und Ausblick

Die beiden Entscheidungen verdeutlichen, dass die Auslegung der Transaktionswert-Schwellen der BWB sowie des deutschen BKartAs etwas zu großzügig sind. Insbesondere darf nicht auf abstraktes Umsatzwachstum in der Zukunft abgestellt werden, sondern lediglich auf die gegenwärtigen Geschäftstätigkeiten. Erzielt ein Unternehmen weniger als EUR 1 Million Umsatz in Österreich, ist es daher unwahrscheinlich, dass das Vorhaben die Erheblichkeitsschwelle überschreitet – es sei denn, es liegen zusätzliche Faktoren wie ein Produktionsstandort, eine signifikante Mitarbeiteranzahl oder eine große Kundenbasis vor, die auf eine erhebliche Inlandstätigkeit schließen lassen.

Insofern kann es durchaus eine die Frage des richtigen Timings sein, zu welchem Zeitpunkt man ein Unternehmen erwerben will. Ist von einem zeitnahen Wachstum auszugehen, will man aber eine Zusammenschlusskontrolle vermeiden, so könnte durch frühes Handeln die Notwendigkeit einer Anmeldung des Zusammenschlusses (und eines potenziellen Untersagens) vermieden werden.

Spannend bleibt außerdem, wie sich der Schutz des Innovationswettbewerbs in der EU künftig entwickeln wird. Teresa Ribera, die neue Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Wettbewerbskommissarin, hat mehrfach betont, dass der Erhalt und die Förderung von Innovationswettbewerb ein zentrales Ziel ihrer Wettbewerbspolitik sein werden. Besonderes Augenmerk legt Ribera auf sogenannte „Killer-Akquisitionen“ – also Übernahmen innovativer Start-ups durch etablierte Marktakteure, die potenziell künftigen Wettbewerb unterbinden könnten. Diese Problematik rückt erneut in den Fokus, nachdem der Europäische Gerichtshof am 03.09.2024 die bisherige Praxis der Kommission, Transaktionen unterhalb der Umsatzschwellen über Artikel 22 FKVO-Verweisungen zu erfassen – wie im Fall Illumina/GRAIL – zurückgewiesen hat. Es bleibt daher abzuwarten, welche weiteren Schritte Ribera setzen wird, um ihr Ziel zu erreichen. Dies könnte nämlich auch Auswirkungen auf die österreichische Praxis im Hinblick auf die Transaktionswert-Schwelle haben.

Unsere Experten der Teams Kartellrecht und Life Sciences & Gesundheitsrecht von Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH stehen Ihnen gerne jederzeit für Fragen zur Transaktionswert-Schwelle zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

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Autor

Florian Krumbiegel

Rechtsanwaltsanwärter
 

6. Mai 2025

 
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