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Wie kommen Patient:innen eigentlich zu den richtigen Therapien, wie werden sie bezahlt und was tut das Gesundheitssystem, um (finanziell) zukunftsfähig zu bleiben? Wichtige Fragen, die den österreichischen Gesetzgeber, die hiesigen Höchstgerichte, aber auch den Unionsgesetzgeber beschäftigen.
Dahinter steht eine Problematik, die schon lange für graue Haare bei den Gesundheitssystempartnern sorgt: Es kommen immer mehr teure und hochspezialisierte Arzneimitteltherapien auf den Markt, welche zu höheren Kosten im System führen. Etwa Gentherapien, die aufwändige Behandlungen in einer Krankenanstalt erforderlich machen und mit sechs- oder siebenstelligen Beträgen zu Buche schlagen. Gegenüber den Krankenanstaltenträgern gelten allerdings alle Leistungen, die Krankenanstalten erbringen, mit Pauschalzahlungen durch die Landesgesundheitsfonds als abgegolten, auch wenn durch den medizinischen Fortschritt Mehrkosten entstehen. Wenn sie durch solche Therapien daher höhere Ausgaben haben, können sie unter Umständen darauf sitzen bleiben.
Patient:innen in einigen Bundesländern Therapien verweigert werden, oder sie in eine andere Krankenanstalt „weitergeschickt“ werden, in der Hoffnung, ein anderer Krankenanstaltenträger würde sich des Themas annehmen. Beide „Praktiken“ hat der OGH für unzulässig erkannt: In OGH 29. 4. 2021, 2 Ob 49/21a hielt er fest, dass sich aus dem Behandlungsvertrag, welcher durch § 8 Abs 2 iVm § 2a KAKuG determiniert wird, in bestimmten Fällen eine Pflicht zur Durchführung einer bestimmten, im konkreten Fall medikamentösen Behandlung ableiten lässt. Zentralkrankenanstalten müssen nämlich alle dem Stand der Wissenschaft entsprechenden Therapien gewähren. In der Entscheidung 25. 7. 2023, 2 Ob 125/23f sprach der OGH zudem aus, dass es rechtswidrig ist, wenn ein:e Patient:in an eine andere Krankenanstalt verwiesen wird, wenn die Wohnsitzkrankenanstalt die gesetzlich zu erbringende Behandlung ebenso erbringen kann (weil sie Kapazitäten frei hat) und die Behandlung zudem in ihr Leistungsspektrum fällt.
Zentral ist dabei, dass Betroffene ihren Behandlungsanspruch, auf dem Zivilrechtsweg (teilweise sogar per einstweiliger Verfügung) gegen den Krankenanstaltenträger geltend machen können. Eine wichtige Klarstellung zur lange unklaren Rechtsschutzsituation in diesem Bereich.
Der „Sondertopf“, den es in kleinerer Form bereits seit 2017 gibt, ist ein Instrument, bei dem zur „Finanzierung überregionaler Versorgungsangebote“ Mittel aus einem eigenen Finanzierungstopf durch Beschluss der Bundeszielsteuerungskommission zweckgewidmet werden (§ 59g Abs 1 KAKuG). Er dient dazu Krankenanstaltenträger von den Therapiekosten besonders teurer Therapien zu entlasten. Bis zu 40 Mio Euro stehen hierfür jährlich zur Verfügung.
Da das Ganze nur dann Sinn macht, wenn diese Mittel zielgerichtet zur Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen eingesetzt werden, ist seit der Gesundheitsreform 2024 ein „Horizon Scanning“ Mechanismus vorgesehen (§ 59f Abs 5 Z 1 KAKuG). Es wird daher methodisch „gescreent“ welche neuen Gesundheitstechnologien auf den Markt kommen werden und wie sich diese finanziell auswirken.
Etwas unehrenhaft als „Sterbekommission“ betitelt wurde durch die Gesundheitsreform 2024 auch ein neues „Bewertungsboard“ im KAKuG (§§ 62d ff) vorgesehen. Dass es – wie dieser Ausdruck unterstellt – die Intention des Gesetzgebers war, die Legitimation zum Vorenthalt teurer Therapien zu schaffen, ist aber jedenfalls verkürzt. So soll es gemäß den Erläuterungen zur „bedarfsgerechten Versorgung mit Arzneimitteln […] unter Wahrung der nachhaltigen Finanzierbarkeit“ dienen (ErläutRV 2310 BlgNR 27. GP 8).
Wie das genau abläuft und welche Prozessschritte dabei stattfinden, ist aus dem Gesetz noch nicht ganz klar ersichtlich, zentrale Bestandteile des Prozesses sollen in einer noch nicht vorhandenen Geschäftsordnung geregelt werden. Aus dem Gesetz geht aber hervor, dass
zunächst Verhandlungen mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen stattfinden, ein Bewertungsprozess (HTA – Health Technology Assessment) durchlaufen werden soll, das Produkt einem Therapiesetting zugeordnet wird (intramural oder Nahtstelle zwischen intra- und extramural) und schließlich eine „Empfehlung“ zum Einsatz oder Nichteinsatz abzugeben ist.
Der Vorgang ist nicht nur auf einfachgesetzlicher, sondern auch aus kompetenzrechtlicher und insgesamt verfassungsrechtlicher Sicht nicht gerade unterkomplex und wirft viele Fragen auf, welche Zuständigkeiten für Prozessschritte, die Auswahl der zu bewertenden Produkte und die Relevanz der Empfehlungen betreffen. Wir werden sehen, was daraus wird und, ob das „Board“ noch vor den Wahlen zum Leben erweckt werden kann.
Diese befasst sich mit der Bewertung von Arzneimitteln. Und ab 2025 werden Nutzenbewertungen für bestimmte Arzneimittel auf Unionsebene harmonisiert, um Marktbarrieren abzubauen. Dies betrifft zunächst Onkologika und Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, später auch Arzneimittel für seltene Leiden. Die Verordnung sieht ein gemeinsames klinisches Bewertungsverfahren vor, dessen Ergebnisse auf Mitgliedstaatsebene eine Auseinandersetzungspflicht aber keine strenge Befolgungspflicht auslösen (näher Ernst/Stöger, EJHL 2024). Sofern Mitgliedstaaten noch keine entsprechenden Bewertungsverfahren (HTA) etabliert haben, werden sie durch die Verordnung auch nicht dazu verpflichtet. Auch einige Prozesse in Österreich, wie eben die den künftigen „Empfehlungen des Bewertungsboards“ vorgelagerten HTA-Prozesse, fallen darunter.
Dieser Beitrag wurde in der Fachzeitschrift Recht der Medizin (3/2024) veröffentlicht. Hier können Sie diesen nachlesen. Gerne steht Ihnen unsere Expertin Gisela Ernst aus dem Team Life Sciences & Gesundheit für weitere Fragen zu diesem Thema zur Verfügung.
Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.
1. Juli 2024