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Als der britische Öl- und Gaskonzern Shell Plc („Shell“) im Jahr 2021 von einem niederländischen Gericht dazu verpflichtet wurde, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 in etwa zu halbieren, herrschte große Aufregung in der Branche. Die zentrale Frage, die damals alle beschäftigte lautet: Können private Unternehmen zur Treibhausgasreduzierung im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen unmittelbar verpflichtet und in Anspruch genommen werden? Nachdem das niederländische Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung nunmehr verworfen hat, herrscht neue Aufregung, da unklar bleibt, wie es nun weitegeht. Der nachstehende Beitrag bietet eine Orientierungshilfe.
Auf einen Blick
Im Jahr 2021 verpflichtete ein niederländisches Gericht den Öl- und Gaskonzern Shell, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 % zu senken, was zu großer Aufregung führte, da die Frage aufkam, ob Unternehmen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zur Treibhausgasreduzierung verpflichtet werden können. Nachdem das Berufungsgericht diese Entscheidung am 12. November 2024 aufhob, bleibt unklar, wie es weitergeht. Das Gericht bestätigte jedoch, dass Staaten eine Menschenrechtsverpflichtung zur Emissionsreduktion haben und Bürger diese auch gegenüber Unternehmen geltend machen können. Dennoch entschied es, dass Shell kein konkreter Reduktionsprozentsatz auferlegt werden könne, da bereits freiwillige Schritte zur CO2-Senkung unternommen wurden. Der Fall hat Präzedenzcharakter und könnte den Weg für weitere Klagen gegen Unternehmen ebnen. Gleichzeitig verdeutlichen die neuen EU-Vorgaben zur Unternehmensverantwortung, wie auch gesetzliche und gerichtliche Maßnahmen zur Klimaregulierung notwendig sind, um Unternehmen zur Nachhaltigkeit zu bewegen.
Noch nie zuvor war ein richterliches Urteil in puncto Klimaschutz so streng wie jenes im Jahr 2021: Ein niederländisches Gericht verpflichtete Shell zu einer Senkung seiner CO2-Ausstöße in der Höhe von netto 45 % gemessen vom Jahr 2019 bis zum Jahr 2030.
Nach der Ansicht des Klägers – der niederländischen Umweltorganisation Milieudefensie – handelt Shell rechtswidrig. Die Organisation bezeichnet den Konzern neben China, den USA und Indien als einen der größten Klimaverschmutzer und macht ihn durch dessen hohen CO2- Ausstoß für den Klimawandel verantwortlich. Der Klimawandel wiederum bringe Menschleben in Gefahr und stellt somit auch eine Verletzung der Menschenrechte dar. Die Verpflichtungen, welche die Staaten im Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 eingegangen sind, gelten auch für Unternehmen. Auch Shell solle sich daher an die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens halten.
Nach dem Standpunkt des Konzerns gäbe es nach dem Pariser Klimaabkommen keine unmittelbare Verpflichtung für Unternehmen, Schadstoffe zu reduzieren. Nicht ein Gericht dürfe eine solche Verpflichtung anordnen, sondern nur eine Regierung. Zudem entscheiden die Verbraucher selbst, welche und wie viel Energie sie nutzen, deshalb könne man das Unternehmen rechtlich nicht in die Verantwortung für den CO2-Ausstoß seiner Kunden ziehen.
Das Besondere an dem erstinstanzlichen Urteil war, dass erstmals von einem Gericht ein Unternehmen in die Pflicht genommen und diesem – nach Vorgabe des Pariser Klimaschutzabkommens – genaue Vorgaben für die Senkung seiner CO2-Emissionen gemacht wurden.
Drei Jahre später – mit der Entscheidung vom 12.11.2024 – hob das Berufungsgericht in Den Haag das erstinstanzliche Urteil nunmehr auf und wies die Klage der Umweltorganisation ab.
Die in den Medien als Sieg für Shell bezeichnete Entscheidung enthält dennoch zahlreiche positive Aspekte für den Klimaschutz:
So bestätigte das Berufungsgericht unter anderem, dass es keinen Zweifel gibt, dass Staaten eine Menschenrechtsverpflichtung haben, Emissionen zu reduzieren und dass Bürger diese Verpflichtungen auch gegen Unternehmen – wie Shell – geltend machen können. Zudem wies das Urteil auf die EU-Gesetzgebung wie die EU-Lieferkettensorgfaltspflichten-Richtlinie („CSDDD“) hin, die von großen Unternehmen verlangt, Emissionen im Einklang mit dem Pariser Abkommen zu reduzieren (Stichwort: Climate Transition Plan).
Das Gericht wies auch das Argument von Shell zurück, dass diese Verpflichtungen gegenüber einzelnen Unternehmen nicht durchsetzbar seien, und bekräftigte, dass das nationale Schutzniveau über dem EU-Niveau liegen könne.
Die Richter stellten fest, dass Shell die Verpflichtung habe, zum internationalen Klimaschutz beizutragen, jedoch könne dem Konzern kein genauer Prozentsatz zur Reduzierung seines CO2-Ausstoßes auferlegt werden. Eine Senkung der Erdgasproduktion, so das Gericht, könnte außerdem zu einem globalen Anstieg der Kohleförderung führen, was dem Klima erheblich schaden würde. Shell sei nach dessen eigenen Plänen bereits auf einen guten Weg zur CO2- Reduktion und wolle selbst (freiwillig) bis 2023 eine Reduzierung in der Höhe von 50 % erreichen.
Bereits vor der Verkündung des Urteils hat die Umweltorganisation Milieudefensie angekündigt, bis zum Höchstgericht zu gehen. Der Fall hat Präzedenzcharakter: Milieudefensie verwendet das Verfahren als Testfall für sein Vorgehen gegen andere Großkonzerne, einschließlich Banken.
Das Berufungsurteil ist zwar ein Rückschritt im Kampf gegen den Klimawandel, aber an der wesentlichen Bedeutung des Verfahrens ändert dies nichts. Seit 2021 – das Jahr in der die erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist – ging die Anzahl der Klimaklagen in die Höhe.
Die klaren Aussagen der Berufungsinstanz, die Unternehmen eine rechtliche Verantwortung für Klimaschäden zuweisen, könnte dazu führen, dass Unternehmen freiwillig ihre Anstrengungen zur Reduktion des CO2-Fußabdruckes erhöhen und so die Umsetzung eines effektiven Klimaschutzes beschleunigen. Insbesondere könnte auch der „Green Deal“, mit dem Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050, durch solche Unternehmensklagen erreicht werden.
Das Shell Verfahren ist auch kein Einzelfall mehr. Im Jänner 2024 brachte Milieudefensie eine Klage gegen die Großbank ING in den Niederlanden ein. Die Bank müsse – so Milieudefensie – die Finanzierung von Projekten fossiler Energien einstellen und ihre Zusammenarbeit mit umweltschädlichen Unternehmen beenden. Die Bank sei der größte Geldgeber für fossile Energieprojekte in den Niederlanden. Ähnliche Klagen sind auch in Neuseeland, den Vereinigten Staaten, Italien, Deutschland, Belgien und Frankreich anhängig.
Die Entscheidungen in diesen Fällen könnten mehr Klarheit bringen, inwiefern Unternehmen von der Gesellschaft zu Klimaschutzmaßnahmen gezwungen werden können. Es ist davon auszugehen, dass neben dem Gesetzgeber in Zukunft wohl auch die Rechtsprechung eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen wird.
Aber nicht nur das jüngst ergangene Urteil, sondern auch die CSDDD verdeutlichen den wachsenden Druck auf Unternehmen, ihre Verantwortung im Hinblick auf Nachhaltigkeit und den Klimawandel wahrzunehmen. Der eigentliche Sieg für mehr Klimaschutz erfolgte somit schon vor dem Shell-Urteil, als die CSDDD die Verpflichtung der Unternehmen zur Emissionsreduzierung im Einklang mit dem Pariser Abkommen festschrieb. Die vom Anwendungsbereich umfassten Unternehmen werden verpflichtet einen Plan zur Minderung der Folgen des Klimawandels umzusetzen, mit dem gewährleistet werden soll, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun, um ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung in internationalen Übereinkommen in Einklang zu bringen.
Das Shell-Urteil zeigt, wie Gerichte Unternehmen in Zukunft direkt zur Verantwortung ziehen könnten, während die CSDDD die rechtlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Bezug auf Umweltschutz und Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten normiert. Beide Themen unterstreichen die Notwendigkeit, dass Unternehmen nicht nur durch freiwillige Maßnahmen, sondern auch durch gesetzliche und gerichtliche Vorgaben zu mehr Nachhaltigkeit und Verantwortung im globalen Kontext bewegt werden.
Unser Experten und Expertinnen aus dem Bereich ESG und Nachhaltigkeit unterstützen Sie gerne auf dem Weg zu mehr Klimagerechtigkeit.
14. November 2024