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Das EU-Pharmapaket umfasst den Entwurf einer Verordnung (im Folgenden: VO-Entwurf) und einer Richtlinie (im Folgenden RL-Entwurf), die den europäischen Rechtsrahmen des Arzneimittelrechts maßgeblich neugestalten werden. Diesen Entwürfen, die im April 2024 bereits vom Europäischen Parlament angenommen wurden, ging eine Empfehlung zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen der Europäischen Kommission voraus und eine Mitteilung zur Reform des Arzneimittelrechts. Es handelt sich um die größte Reform des EU-Arzneimittelrechts seit etwa zwei Jahrzehnten.
Das Paket zielt darauf ab, den Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu beschleunigen und durch wirtschaftliche Anreize sowie den Abbau bürokratischer Hürden zu verbessern. Darüber hinaus sollen die neuen Regelungen die Entwicklung von Arzneimitteln für Kinder und seltene Leiden vorantreiben, Arzneimittel umweltfreundlicher gestalten und die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen intensivieren. Auch gänzlich neue Aspekte, die bisher noch nicht im Arzneimittelrecht der EU adressiert wurden, wie Liefersicherheit und die Bedeutung der Zulassungsunterlagen für Health Technology Assessments (HTAs) werden adressiert. Zudem soll der unionsweit gleiche Zugang zu Arzneimitteln durch einige neue Ansätze gestärkt werden.
Ein einziger Blogbeitrag reicht bei Weitem nicht aus, um alle Details der umfassenden Entwürfe und Begleitdokumente zu adressieren. Im Folgenden werden aber ein paar wichtige Bereiche hervorgehoben, die aktuell im Zentrum der Diskussionen stehen. Das Paket dürfte nämlich noch nicht „fertig geschnürt“ worden sein.
Derzeit ist als Grundregel ein Unterlagenschutz von 8 Jahren für alle Arzneimittel vorgesehen. Zusätzlich gelten zwei Jahre Vermarktungsschutz, in denen Generika-Hersteller zwar die Unterlagen bereits einsehen können und Zulassung beantragen können, ihre Produkte aber noch nicht vermarkten dürfen. Ein weiteres Jahr Marktexklusivität gibt es bei Entwicklung einer zusätzlichen Indikation.
Der RL-Entwurf sieht diesbezüglich maßgebliche Änderungen vor: Der Basisschutz soll nur noch 6 Jahre betragen, wobei im Rahmen der Überarbeitung des Entwurfs vom Europäischen Parlament 7,5 Jahre vorgeschlagen wurden. Ein weiteres Jahr Marktexklusivität ist vorgesehen, wenn eine neue Indikation innerhalb der ersten Acht Jahre zugelassen wird und im Zulassungsverfahren ein klinischer Zusatznutzen im Vergleich zu bestehenden Therapien nachgewiesen werden kann.
Ein neuer Ansatz im RL-Entwurf ist es, weitere zwei Jahre Unterlagenschutz zu gewähren, wenn das Arzneimittel innerhalb zweier (in besonderen Fällen dreier) Jahre in allen Mitgliedstaaten auf den Markt gebracht wird (vgl Art 81 Abs 2 lit a und Art 82 RL-Entwurf). Dabei ist insbesondere kritisch, dass unklar ist, wann ein Arzneimittel als auf den Markt gebracht gilt. Das Durchlaufen der 27 Erstattungsverfahren wäre vielfach in diesem Zeithorizont nicht möglich. Auch das Konzept der medizinischen Versorgungslücke, des sogenannten „unmet medical need“ (Art 83 RL-Entwurf) ist neu. Zusätzliche 6 Monate Unterlagenschutz sollen nämlich nach dem RL-Entwurf gewährt werden, wenn das Produkt eine solche Lücke schließt. Die Definition im Entwurf ist aber denkbar eng, sodass auch über diese noch diskutiert wird.
Im Vorschlag des Europäischen Parlaments ist ebenfalls ein modulares System vorgesehen, dass sich allerdings anders zusammensetzt: Ein zusätzlicher Zeitraum von 12 Monaten Unterlagenschutz (anstelle von 6 Monaten) wird gewährt, wenn eine medizinische Versorgungslücke schließt. Darüber hinaus gibt es 6 Monate, wenn der Hersteller vergleichende klinische Studien durchführt, sowie weitere 6 Monate, wenn ein wesentlicher Anteil der Forschung und Entwicklung (einschließlich präklinischer und klinischer Studien) innerhalb der EU durchgeführt wird – teilweise in Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen. Im Vorschlag des Parlaments ist auch die umstrittene Markteinführungsbedingung gestrichen und stattdessen die Verpflichtung vorgesehen, auf nationaler Ebene Erstattungsanträge („P&R“) zu stellen. Auf den Zeitraum des Unterlagenschutzes folgen 2 Jahre Marktexklusivität. Diese können um 12 Monate verlängert werden, wenn eine wichtige neue Indikation hinzukommt, anstelle der von der Kommission vorgeschlagenen zusätzlichen 12 Monate Unterlagenschutz. Insgesamt soll es aber jedenfalls nicht mehr als 8,5 Jahre Unterlagenschutz geben.
Auch das sogenannte „Repurposing“ ist neu: Dabei soll für Arzneimittel, die seit mindestens 25 Jahren zugelassen sind und für die eine neue Indikation ermittelt wird, eine Schutzfrist von vier Jahren beantragt werden können (vgl Art 84 RL-Entwurf).
Besondere Neuerungen, die ebenfalls detaillierter abgestuft sind, sollen auch für Arzneimittel für seltene Krankheiten und Kinderarzneimittel in Kraft treten. Diese sehen ebenfalls ein abgestuftes System des Unterlagenschutzes und der Marktexklusivität vor. Arzneimittel für seltene Leiden sollen dabei jedenfalls als solche zur Deckung eines „unmet medical need“ gelten (Art 83 Abs 2 RL-Entwurf). Im Abschnitt 7 des RL-Entwurfs und Kapitel VII des VO-Entwurfs sind auch die Änderungen der Regelungen für Arzneimittel für Kinder vorgesehen.
Nachdem die Europäische Kommission ein Marktversagen für Antimikrobielle Mittel festgestellt hat (es gibt keinen Anreiz, diese sehr aufwändig zu entwickeln, wenn diese dann nur als „Ersatz“ für den Fall der Resistenz gegen das primär einzusetzende Produkt zur Anwendung gelangen und keinen entsprechenden Umsatz generieren), wird ein dem Arzneimittelrecht bisher gänzlich fremdes Anreizsystem in Art 40 ff des VO-Entwurfs eingeführt:
Das System funktioniert so, dass Entwickler innovativer antimikrobieller Mittel übertragbare Gutscheine, sogenannte „Voucher“, für den Unterlagenschutz erhalten. Der Besitzer dieses Gutscheins kann ihn entweder für die eigenen antimikrobiellen Produkte verwenden, auf andere Arzneimittel anwenden oder einmalig an einen anderen Hersteller weitergeben. Ein solcher Gutschein bietet dem Inhaber ein zusätzliches Jahr Unterlagenschutz gegenüber Konkurrenten, gemäß Art 40 Abs 2 und Art 41 VO-E 2023/0131 (COD).
Zur Vermeidung von Doppelarbeit bei Zulassungsanträgen, der Reduktion von Verwaltungs- und Finanzaufwand und der Beschleunigung des Verfahrens soll auch das Zulassungsverfahren novelliert werden. Die Regelungen für das rein nationale Zulassungsverfahren, das dezentralisierte Zulassungsverfahren und das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung sind im RL-Entwurf geregelt, während der VO-Entwurf das zentralisierte Zulassungsverfahren beinhaltet.
Bei allen im RL-Entwurf enthaltenen Verfahren ist die Reduktion der (maximalen) Verfahrensdauer vorgesehen, die in Summe deutlich spürbar sein sollte und sich meist durch die Verkürzung der Fristen der einzelnen Verfahrensschritte ergibt. Auch im zentralisierten Zulassungsverfahren ist eine solche Beschleunigung vorgesehen, sodass die maximale Dauer statt bisher 210 Tage nur noch 180 Tage betragen soll (Art 6 Abs 6 VO-Entwurf).
Auch im Bereich der Arzneimittelwerbung sind maßgebliche Änderungen im RL-Entwurf enthalten. Dazu gehört insbesondere die Erweiterung des Begriffs der Arzneimittelwerbung (Art 175 RL-Entwurf), die nun auch Sortimentswerbung erfasst. Hierdurch erfolgte die Kodifizierung der wegweisenden EuGH-Judikatur (EuGH 15.7.2021, C-190/20, Doc Morris).
Im RL-Entwurf werden zudem neue Regelungen zur vergleichenden Werbung aufgenommen. Dazu zählt insbesondere ein Verbot der negativen Hervorhebung eines anderen Arzneimittels und das Verbot, das beworbene Arzneimittel als sicherer oder wirksamer darzustellen, wenn dies nicht durch die Zusammenfassung der Produktmerkmale nachgewiesen und unterstützt ist (Art 176 RL-Entwurf).
Bei der Abgabe von Gratismustern wurde der Personenkreis, die diese abgeben dürfen, erweitert. Nunmehr dürfen dies bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht nur zur Verschreibung Berechtigte (idR Ärzt:innen), sondern auch zur Abgabe berechtigte Personen (diverse Gesundheitsberufe, Krankenpflegepersonal), vgl Art 185 Abs 2 des RL-Entwurfs. Auch diese Neureglung erfolgte im Hinblick auf eine wegweisende EuGH Entscheidung (EuGH 11.7.2020 C-786/19, ratiopharm GmbH/Novartis Consumer Health GmbH).
Wie dargestellt sind einige Aspekte noch sehr unklar, die Reichweite der Änderungen wird in letztlich erst aus den Details der ausverhandelten Ergebnisse ableitbar sein. Der derzeit zuständige polnische Ratsvorsitz hat bereits angekündigt, 2025 die Arbeiten an der Revision der Arzneimittelgesetzgebung weiter voranzutreiben. Unternehmen sind bereits gut beraten, sich vor allem mit den gänzlich neuen Aspekten auseinanderzusetzen, etwa den Aufbau der Kompetenz zur Vermarktung in allen Mitgliedstaaten voranzutreiben, Möglichkeiten des „Repurposing“ frühzeitig zu evaluieren und die Möglichkeit des Einkaufs von „Vouchern“ zu bewerten.
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27. Januar 2025