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Die „Corona-Hausdurchsuchung“ und andere behördliche Kompetenzen des neuen COVID-19-Maßnahmengesetzes


Am 14.07.2020 hob der Verfassungsgerichtshof verschiedene Bestimmungen der COVID-19-Maßnahmenverordnungen als gesetzwidrig auf. Dies wurde u. a. als Anlass dafür genommen, die gesetzliche Grundlage dieser Verordnungen, das COVID-19-Maßnahmengesetz (kurz: COVID-19-MG), zu novellieren. Neben einer Präzisierung der Verordnungsermächtigungen enthält die Neufassung des Gesetzes neue, weitreichende und eingriffsintensive Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19.

1. Das neue COVID-19-MG

Seit März dieses Jahres wurden vom Gesetzgeber zahlreiche Regelungen in Zusammenhang mit COVID-19 geschaffen. Das wohl prominenteste dieser Gesetze, da es die weitreichendsten Eingriffe in das Unternehmer- und Privatleben vorsieht, ist das im März 2020 beschlossene COVID-19-MG. Dieses war und ist u. a. Grundlage für die Verhängung von Betretungsverboten und lieferte den gesetzlichen Rahmen für den Großteil jener Verwaltungsstrafen, über die im ersten Halbjahr umfassend medial berichtet wurde.

Zur Schaffung einer rechtlichen Grundlage für das Corona-Ampelsystem und das Kontaktpersonen-Management sowie zur Präzisierung der Ermächtigungen zur Erlassung von Betretungsverbote bzw. Auflagen für das Betreten von Orten, wurde am 12.08.2020 vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ein Entwurf zur Änderung des COVID-19-MG in Begutachtung geschickt. Nach teils scharfer Kritik an diesem Entwurf wurde mit Initiativantrag vom 14.09.2020 eine überarbeitete Fassung ins parlamentarische Verfahren eingebracht. Diese Fassung trat bereits mit 26.09.2020 als neues COVID-19-MG in Kraft.

2. Betretungsverbote und Ausgangsregelungen

Während die bisherigen Regelungen dem für das Gesundheitswesen zuständigen Minister die Befugnis einräumten, Betretungsverbote für Betriebsstätten und „bestimmte“ Orte einräumten, sollen die neuen Regelungen die Ermächtigung zur Setzung weitreichenderer Maßnahmen verleihen: So darf der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz – in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich auch der Landeshauptmann und die Bezirksverwaltungsbehörden – bei Auftreten von COVID-19 durch die Erlassung von Verordnungen nun ausdrücklich zusätzlich auch das Betreten von Verkehrsmitteln und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit beschränken. Auf diese Art kann geregelt werden, in welcher Zahl, zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen, wie Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen, diese Orte betreten werden dürfen. Nur als ultima ratio kann das Betreten gänzlich untersagt werden. Hinzu kommt als zusätzliche Eskalationsstufe, für den Fall, dass Betretungsverbote nicht ausreichen, die Möglichkeit, Ausgangssperren zu verhängen.

Sind damit bei oberflächlicher Betrachtung zwar klare und abgestufte Maßnahmen zur COVID-Bekämpfung vorgesehen, machen einige Begrifflichkeiten den Anwendungsbereich weiter, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Auffällig ist, dass das Gesetz allgemein auf die Benützung von „Verkehrsmitteln“ und nicht etwa nur auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln abstellt. Demnach kann auch das Benutzen von (privaten) Verkehrsmitteln geregelt und beschränkt werden. Dieser Umstand wurde auch ausdrücklich in der Begründung des Initiativantrages zum Entwurf zur Änderung des COVID-19-MG hervorgehoben. Von Maßnahmen für „bestimmte Orte“ können, gemäß einer Definition in § 1 Abs 3 COVID-19-MG, auch private Orte betroffen sein, dies aber mit Ausnahme des privaten Wohnbereichs. Die Verfassung (Art 9 StGG) schützt aber unter dem Begriff des „Hausrechts“ nicht nur den privaten Wohnbereich, sondern darüber hinaus auch weitere private Orte, die nicht Wohnzwecken dienen, wie beispielsweise Vereinslokale, Kanzleiräumlichkeiten und alle sonstigen Betriebsräume wie Geschäftslokale. Die Maßnahmen des COVID-19-MG betreffen daher auch Orte, die grundsätzlich vom Hausrecht geschützt sind.

Aufgrund des kurzen Zeitraumes zwischen Einbringen des Initiativantrages und Beschluss des Nationalrates von nur 14 Tagen existieren zum COVID-19-MG bisher kaum veröffentlichte rechtliche Stellungnahmen. Doch bereits in der parlamentarischen Diskussion wurden erneut verfassungsrechtliche Bedenken an den neuen Regelungen geäußert. Die derzeit vorherrschende Bereitschaft vieler Unternehmer, rechtlich gegen derartige Bestimmungen vorzugehen, legt nahe, dass früher oder später der VfGH die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen prüfen wird.

3. Überprüfung vor Ort durch die Bezirksverwaltungsbehörde

Das COVID-19-MG sieht in § 9 vor, dass die Organe der Bezirksverwaltungsbehörde und die von ihnen herangezogenen Sachverständigen berechtigt sind, Betriebsstätten, Arbeitsorte, Verkehrsmittel und bestimmte Orte zu betreten und zu besichtigen sowie in alle Unterlagen, die mit der Einhaltung von Voraussetzungen und Auflagen nach diesem Bundesgesetz im Zusammenhang stehen, Einsicht zu nehmen und Beweismittel zu sichern. Inhaltlich bedeutet dies nichts Anderes, als dass die Organe der Bezirksverwaltungsbehörde zur Kontrolle der Einhaltung der Voraussetzungen und Auflagen des COVID-19-MG Durchsuchungen von Orten und Sicherstellungen von Unterlagen vornehmen können. Diese Maßnahmen können zwangsweise durchgesetzt werden. Wer dagegen zuwiderhandelt, kann noch dazu mit einer Geldstrafe von bis zu 1.450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu vier Wochen, bestraft werden.

Diese Form der „COVID-Hausdurchsuchung“ ermöglicht neben dem Betreten von Arbeitsplätzen, öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln auch das Betreten und Besichtigen „bestimmter Orte“. Wie oben bereits ausgeführt wurde, können davon auch Orte, die unter dem verfassungsrechtlich geschützten Hausrecht stehen, betroffen sein. Somit darf die Bezirksverwaltungsbehörde aus eigenem Durchsuchungen durchführen, welche die Kriminalpolizei im Anwendungsbereich der Strafverfolgung nur auf Anordnung der Staatsanwaltschaft mit gerichtlicher Bewilligung durchführen dürfte.

Eine Verfassungswidrigkeit ergibt sich aus diesem Vergleich nicht (zwingend), er zeigt aber, dass das COVID-19-MG damit sehr weit geht. Zwar gibt es beispielsweise auch aufgrund des Arbeitsinspektionsgesetz 1993  (kurz: ArbIG) die Möglichkeit, Orte zu betreten und diese zu besichtigen; dies aber beschränkt auf Organe der Arbeitsinspektion, die zur Durchführung ihrer Aufgaben berechtigt sind, Betriebsstätten und Arbeitsstellen sowie die von ArbeitgeberInnen den ArbeitnehmerInnen zur Verfügung gestellten Wohnräume zu betreten und zu besichtigen. Bei genauerer Betrachtung erscheinen diese Bestimmungen des ArbIG – unter Berücksichtigung, dass nach dem ArbIG das zuständige Organ nach seinem Ermessen das Betreten eines Ortes auch zuvor ankündigen kann bzw. das ArbIG bei Übertretung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auch eine Beratungsverpflichtung enthält – jedoch nicht so eingriffsintensiv wie jene des COVID-19-MG. Ob letztere – vor allem die Regelungen betreffend die Einsicht in Unterlagen – iS obiger Ausführungen einer allfälligen Überprüfung durch den VfGH standhalten werden, wird sich zeigen.

4. Keine bundesweite Kontaktdatenaufbewahrungspflicht

Noch im Gesetzesentwurf vom 12.08.2020 war im Zusammenhang mit der Kontaktpersonennachverfolgung vorgesehen, dass Betriebe, Veranstalter und Vereine verpflichtet sind, personenbezogene Kontaktdaten von Gästen, Besuchern, Kunden und Mitarbeitern für die Dauer von 28 Tagen aufzubewahren und den Gesundheitsbehörden im Anlassfall zur Verfügung zu stellen. Diese Bestimmung sollte jedoch nicht im COVID-19-MG, sondern im Epidemiegesetz (kurz: EpG) verankert werden. Offenbar der vehementen Kritik folgend wurde diese Bestimmung aus dem ursprünglichen Entwurf verworfen. Eine derartige Datenaufbewahrungspflicht ist im geltenden COVID-19-MG sowie im EpG nicht mehr enthalten. Ähnliche Regelungen, die Gastronomen verpflichten, ihre Gäste zur Bekanntgabe ihrer Kontaktdaten (zum Zweck des „Contact Tracing“) aufzufordern, bestehen aber bereits seit 28.09.2020 für Wien und in bestimmten Bezirken Niederösterreichs, wie beispielsweise seit 05.10.2020 Melk. Diese Verordnungen stützen sich auf das EpG bzw. auf das COVID-19-MG, wonach auf Verlangen der Bezirksverwaltungsbehörde alle Personen, die zu den Erhebungen einen Beitrag leisten könnten, zur Auskunftserteilung verpflichtet sind (§ 5 Abs 3 EpG) bzw. das Betreten bestimmter Orte nur unter der Einhaltung von Voraussetzungen und Auflagen erlaubt ist (§ 15 EpG, §§ 3 und 4 COVID-19-MG). Eine bundesweite einheitliche Regelung zur Datenerfassung und -aufbewahrung gibt es derzeit aber (noch) nicht.

5. Conclusio

Die neuen Regelungen sind sichtlich von dem Bemühen getragen, den Behörden weitreichende Befugnisse einzuräumen. Zu diesen noch sehr jungen Bestimmungen wurden bereits verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Es scheint geradezu absehbar, dass die aktuellen Regelungen neuerlich einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.

Für die Beantwortung von Fragen zu diesem Thema steht Ihnen unser Experte Bernd Wiesinger gerne telefonisch oder unter akut@hnp.at zur Verfügung.

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Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrags.

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