Zum Hauptmenü Zum Inhalt

Weitere Klarstellungen zu „Gun Jumping“


In der Rechtssache Canon Inc. (T-609/19) liefert das Europäische Gericht praktisch bedeutsame Klarstellungen für mehraktige Zusammenschlussvorgänge.

Der Anlassfall

Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten leitete Toshiba Corporation (Toshiba) ein Bieterverfahren für den Verkauf seiner Tochtergesellschaft Toshiba Medical Systems Corporation (TMSC) ein. Dies sollte schnell Geld in die Kassen bringen und ein negatives Geschäftsergebnis für das laufende Geschäftsjahr verhindern.

Der Erwerb von TMSC, einer Tochtergesellschaft von Toshiba, durch Canon Inc. wurde in zwei Stufen durchgeführt. Zuerst wurde eine Zweckgesellschaft eingerichtet, die einige stimmberechtigte Aktien der TMSC erwarb, die jedoch keine Kontrolle vermittelten. Zugleich bezahlte Canon Inc. den gesamten Kaufpreis und bekam Kaufoptionen auf die verbleibenden Aktien eingeräumt. Diese Kaufoption wurde dann, nach Anmeldung und Genehmigung durch die Europäische Kommission, in einem zweiten Schritt ausgeübt.

Grund für diesen zweistufigen Vorgang war, dass Toshiba den Kaufpreis noch im laufenden Geschäftsjahr in seiner Bilanz ausweisen wollte. Um eine Verzögerung durch Anmeldepflichten und Prüfverfahren vor den Wettbewerbsbehörden zu verhindern, sollte Canon aber erst nach der fusionsrechtlichen Freigabe Kontrolle über TMSC erlangen.

Verstoß gegen die Anmelde- und Stillhaltepflicht

Die Europäische Kommission sah in dieser Vorgehensweise einen Verstoß gegen die Anmelde- und Stillhaltepflicht und verhängte eine Geldbuße iHv EUR 28 Mio. Denn anmeldepflichtige Zusammenschlüsse müssen vor deren Durchführung angemeldet werden und dürfen erst vollzogen werden, wenn die Genehmigung der Europäischen Kommission vorliegt (andernfalls liegt ein sog. „Gun Jumping“ vor; siehe dazu auch hier und hier).

Das Europäische Gericht bestätigte dies und stellte klar, dass der Vollzug eines Zusammenschlusses eintritt, wenn die daran Beteiligten Handlungen vornehmen, die zu einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beitragen. Auch ein teilweiser Vollzug eines Zusammenschlusses fällt dann unter die Stillhaltepflicht (Rn 62 des Urteils). Bei der gegenständlichen Transaktion habe es sich um solch einen Teilvollzug gehandelt (Rn 99 des Urteils).

Dieses Ergebnis deckt sich mit dem bereits in Rn 45 der Konsolidierten Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen der Europäischen Kommission vertretenen Standpunkt, wonach ein Kontrollerwerb, der im Wege mehrerer Transaktionen erfolgt, als ein Zusammenschluss angesehen werden kann, wenn die Transaktionen einander gegenseitig bedingen. Ähnliches hat EuG zudem in der Rs Cementbouw Handel ausgesprochen (s dort Rn 105 ff).

Konsequenz der Beurteilung als einheitliche Transaktion ist, dass bereits die erste Transaktion die Anmeldepflicht auslöst, unabhängig davon, ob sie für sich genommen einen Anmeldetatbestand begründen würde.

Vergeblich versuchte Canon Inc. mit Blick auf die EuGH Rs Ernst & Young zu argumentieren, dass Vorbereitungshandlungen nur dann von der Anmeldepflicht (und damit vom Durchführungsverbot) erfasst sind, wenn sie selbst einen Kontrollerwerb bewirken. In der genannten Rechtssache hatte der EuGH nämlich entgegen dem Standpunkt der Europäischen Kommission vertreten, dass die Kündigung eines Vertrags über die Zugehörigkeit zu einem internationalen Netzwerk an Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften keine Anmeldepflicht auslöst. Das EuG präzisierte nunmehr, dass ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot nicht bloß bei solchen Transaktionen oder Transaktionsbestandteilen vorliegen kann, in denen Kontrolle über ein anderes Unternehmen erlangt wird, sondern auch bei solchen Handlungen, die zu einem Kontrollerwerb beitragen (Rn 69).

Im Ergebnis wurde der Zusammenschluss daher bereits teilweise vor der Genehmigung der Europäischen Kommission vollzogen. Es liegt daher ein Verstoß gegen die fusionskontrollrechtlichen Vorgaben vor – das Europäische Gericht bestätigte damit die Entscheidung der Europäischen Kommission und wies die Nichtigkeitsklage zurück.

Für die Beantwortung weiterer Fragen zu diesem Thema stehen Ihnen unsere Experten der Praxisgruppe Kartell- und Beihilfenrecht gerne zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

8. Juni 2022

 
Zurück zur Übersicht
  • JUVE Top Arbeitgeber 2024
  • Referenz | Haslinger / Nagele, Logo: JUVE Awards
  • JUVE Top 20 Wirtschaftskanzlei-Oesterreich
  • Promoting the best. Women in Law Award