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Sportverbandsregeln – Wettbewerbsbehörden als Schiedsrichter?


Sowohl die abgelaufene Fußballweltmeisterschaft als auch zwei aktuelle Verfahren beleben die Debatte über das Verhältnis von Verbandsregeln im Profisport und dem Kartellrecht neu.

Sag‘, wie hältst du’s mit dem Sport?

Während sich die Fußballwelt über die Auftaktniederlage Argentiniens gegen Saudi Arabien in Qatar unterhielt, fragten sich Kartellrechtler:innen, ob gegen das Verbot des Tragens der „One Love“-Kapitänsbinde mit kartellrechtlichen Mitteln vorgegangen werden könnte. Ungefähr zur selben Zeit veröffentlichte der EuGH zwei Schlussanträge des Generalanwalts Rantos, die weitere Klarheit zur Anwendung des Kartellrechts auf Regeln von Profisportverbänden schaffen könnten, sollte der EuGH ihnen folgen.

Dass das Unionsrecht im Allgemeinen auf Regeln der Sportverbände anwendbar sein kann, sofern diese eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, urteilte der EuGH bereits 1974 in der Rs Walrave und Koch. Auch für die Anwendung des (EU-)Kartellrechts im Besonderen bildet die wirtschaftliche Betätigung den zentralen Anknüpfungspunkt. Einem funktionalen Verständnis folgend prüfen Wettbewerbsbehörden die Unternehmenseigenschaft für jede Tätigkeit einer Einrichtung, nicht aber für die Einrichtung als Ganzes. Daher kann eine Einheit mit Blick auf eine Tätigkeit Unternehmen sein, mit Blick auf eine andere nicht.

Wie verhält sich das nun mit Sportverbänden? Sportverbände sind jedenfalls unternehmerisch tätig, wenn sie etwa Veranstaltungen vermarkten und in diesem Zusammenhang Sponsoring- und andere Verträge schließen (EuGH Rs MOTOE). Auch einzelne Athlet:innen können als Unternehmen qualifiziert werden, etwa dann, wenn sie Werbeleistungen für Sponsoren erbringen (EuGH Rs Deliège, Rn 56 ff); umso mehr gilt das für professionelle Teams, die sich aus wirtschaftlichen Erwägungen an Bewerben beteiligen, Tickets verkaufen udgl (vgl etwa EuGH Rs Piau, Rn 69). Mehrere Unternehmen können auch eine Unternehmensvereinigung bilden, etwa in Form nationaler oder internationaler Verbände (vgl EKom Rs Fußballweltmeisterschaft 1990 zur FIFA), deren Beschlüsse ebenso vom Kartellverbot erfasst sein können.

Der „Drei-Stufen-Test“

Weitergehende Klarheit zur Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Regeln von Sportverbänden schuf die Rs Meca-Medina im Jahre 2006, die Regeln mit vordergründig sportlichem (und nicht wirtschaftlichem) Charakter betraf. Die Kläger, zwei nach positiven Tests für gewisse Dauer von der Teilnahme an Bewerben gesperrte Profischwimmer, argumentierten, dass die Anti-Doping-Bestimmungen des Schwimmverbands FINA gegen das Kartellverbot (als wettbewerbsbeschränkender Beschluss einer Unternehmensvereinigung) verstoßen würden. Der Frage, ob auf solche Vorschriften „rein sportlichen Charakters“ das Wettbewerbsrecht überhaupt anwendbar ist, näherte sich der EuGH mit einem Drei-Stufen-Test: In einem ersten Schritt sei zu prüfen, in welchem Gesamtzusammenhang der Beschluss zustande gekommen ist und ob mit ihm ein legitimes Ziel verfolgt werde. In einem nächsten Schritt sei zu prüfen, ob die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Beschlusses mit der Verfolgung des Zieles notwendig zusammenhängen. Abschließend sei zu klären, ob die beschränkenden Wirkungen des Beschlusses im Hinblick auf die verfolgte Zielsetzung angemessen sind.

Liegen alle drei Voraussetzungen kumulativ vor, so fällt die verbandsrechtliche Maßnahme gar nicht erst in den Anwendungsbereich des Kartellverbots. Im konkreten Fall kam der EuGH zum Schluss, dass die Anti-Doping-Bestimmungen im Kontext des Bewerbssports ein legitimes Ziel verfolgten (Chancengleichheit und Fairness im Bewerb) und notwendig sowie auch angemessen waren, um dieses Ziel zu erreichen.

Es darf nur eine(n) geben? – Rs ESL und ISU

Die beiden aktuellsten Fälle – Rs European Superleague Company und Rs International Skating Union – betreffen Regelungen, die die Teilnahme von Mitgliedern an Bewerben anderer Verbände unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen.

Bei der European Superleague (ESL) handelt es sich um eine von den wirtschaftlich stärksten Fußballklubs der Welt ins Leben gerufene internationale Liga, die unabhängig vom Organisationssystem der FIFA/UEFA entstehen sollte. Die Vereine wandten sich an das Handelsgericht in Madrid mit dem Vorbringen, dass die FIFA/UEFA ihre marktbeherrschende Stellung missbrauche, indem sie die Genehmigung zur Gründung der ESL verweigert und Teams bei Teilnahme an der ESL mit dem Ausschluss aus den von der ihr organisierten Wettbewerben droht.

Der Fall wurde schließlich dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. GA Rantos bejaht in seinen Schlussanträgen das Recht der Vereine, eine unabhängige Liga zu gründen. Jedoch sei der Genehmigungsvorbehalt der FIFA/UEFA nicht zu beanstanden. Dabei bezog sich GA Rantos in seiner Begründung auch auf die Rs Meca-Medina und argumentierte, dass die Genehmigung der ESL durch die FIFA/UEFA der Verfolgung legitimer Ziele diene. Denn nur so könne die Chancengleichheit, Solidarität und das Ein-Platz-Prinzip des europäischen Fußballs erhalten bleiben (Rz 110).

Ein weiterer Fall gelangte über die Europäische Kommission und das Europäische Gericht zum EuGH. In der Sache ging es um eine Regel des einzigen vom IOC anerkannten Dachverbands für den Eiskunst- und Eisschnelllauf (ISU), wonach Sportler:innen, die ohne Zustimmung des der ISU an Bewerben konkurrierender Organisatoren teilnehmen lebenslang von der Teilnahme an ISU-Bewerben ausgeschlossen sein sollten. Die Unterinstanzen hielten jene Regelung für eine bezweckte (vereinfacht: eine offenkundige) Wettbewerbsbeschränkung. GA Rantos stellt in seinen Schlussanträgen zwar die Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts auf den Fall nicht infrage, zweifelt jedoch an der Qualifikation als bezweckte (offenkundige) Wettbewerbsbeschränkung. Hier habe das EuG die Prüfschritte nach Meca Medina – betreffend die Frage der Anwendbarkeit des Kartellverbots – mit der inhaltlichen Beurteilung der strittigen Regeln als bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung unzulässig vermengt. Vielmehr seien die Auswirkungen des Beschlusses dahingehend zu prüfen, ob sie tatsächlich eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken würden.

Was bedeutet das nun für die One Love-Binde?

Die One Love-Binde bei der Fußballweltmeisterschaft in Qatar sorgte weltweit für Aufsehen. Sie sollte als Zeichen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz stehen, wurde jedoch von der FIFA aufgrund eines Verstoßes gegen die FIFA-Ausrüstungsreglements (Art 4.3.1) als unzulässig erklärt. Doch verstößt das Verbot gegen die europäische oder nationale Wettbewerbsvorschriften, wie teils unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundeskartellamts in der Rs IOC (Regel 40) behauptet wurde?

Bekleidungsvorschriften können sportlichen Zielen dienen und für deren Erreichung notwendig und angemessen sein. Allerdings können Regelungen, die Sportler daran hindern, jedwede Flächen und Kleidungsstücke für eigene wirtschaftliche Zwecke (individuelle Sponsoren) zu nutzen, durchaus wettbewerbswidrig sein. Die Schadenstheorien wären hier, dass entweder das Fortkommen des/der Athlet:in unzulässig eingeschränkt oder aber die Werbemöglichkeiten (potenzieller) Sponsoren unzulässig behindert würden. Dass sich eine dieser Schadenstheorien auf die nicht-wirtschaftliche Botschaft, die von der One Love-Binde ausgeht, übertragen lässt, liegt aus unserer Sicht zumindest nicht nahe. Eine zusätzliche Schadenstheorie drängt sich jedenfalls nicht auf.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH in seiner Entscheidung seinem Generalanwalt folgen wird. In jedem Fall wird man sich eine Klärung zur Frage erwarten dürfen, inwieweit Sportverbände ihre Mitglieder daran hindern dürfen, an Bewerben konkurrierender Veranstalter teilzunehmen. Der Ball liegt nun beim EuGH. Und was die One-Love-Binde anbelangt, ist die Frage aufgrund des abgelaufenen Bewerbs zwar für den Moment faktisch erledigt. Der Deutsche Fußball Bund (DFB) entschied sich entgegen einer vorangehenden Ankündigung, kein Hauptverfahren am Sportsgerichtshof (CAS) einzuleiten. Ob das Verbot der One Love-Binde einer Kartellrechtsprüfung standgehalten hätte, bleibt somit weiterhin offen.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

19. Januar 2023

 
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