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Mind the „gap cases“ – Ausweitung der Untersagungsbefugnis bei Unternehmenszusammenschlüssen?


Schon bislang sorgten so genannte „gap cases“ für Zündstoff beim Vollzug der Vorschriften über die wettbewerbsbehördliche Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen. Ein aktuelles Verfahren wird Klarheit zu dem auf solche Fälle anwendbaren Prüfmaßstab bringen. Es könnte Zusammenschlüsse in oligopolistisch strukturierten Märkten weiter erschweren.

Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung („SIEC-Test“ – kurz für „Significant Impediment of Effective Competition“), sind nach der EU-Fusionskontrollverordnung (FKVO) für mit dem Binnenmarkt unvereinbar zu erklären.

Ob ein Zusammenschluss solche Wirkungen zeitigt, prüfen Wettbewerbsbehörden anhand möglicher „koordinierter“ und „nicht-koordinierter“ Wirkungen. Zusammenschlüsse zwischen Wettbewerbern können koordinierte Wirkungen entfalten, wenn sich durch den Zusammenschluss die Marktstruktur in einer Weise verändert, die eine Koordination unter den am Markt verbleibenden unabhängigen Unternehmen wahrscheinlicher macht. Nicht koordinierte Wirkungen treten insbesondere dann ein, wenn die durch den Zusammenschluss entstehende Einheit Marktmacht erlangt. Marktmächtige Unternehmen können – mangels ausreichendem Wettbewerbsdruck – höhere Preise, ein geringeres Output und dergleichen als gewinnbringende Strategie einsetzen, ohne ihr Verhalten dafür mit dem „Restwettbewerb“ abstimmen zu müssen.

Was versteht man unter „gap cases“?

Der Begriff „gap cases“ bezeichnet Fälle, in denen zwei oder mehr Unternehmen durch einen Zusammenschluss zwar keine (alleinige) Marktmacht erlangen, weil Mitbewerber mit höheren Marktanteilen am Markt verbleiben und eine Koordination mit den verbleibenden Wettbewerbern ebenso nicht wahrscheinlich ist (etwa, weil die Produkte hinreichend differenziert sind). Dennoch wird eine (untersagungswürdige) Verschlechterung der Wettbewerbssituation als Resultat des Zusammenschlusses erwartet. Ein solcher Fall kann etwa eintreten, wenn in einem oligopolistischen Markt ein vergleichsweise kleiner Mitbewerber übernommen wird, der bislang eine wichtige („disziplinierende“) Wettbewerbskraft für die übrigen Marktteilnehmer darstellte (solche Unternehmen werden gelegentlich als „Mavericks“ bezeichnet). Ein typisches Beispiel eines „gap case“ war die Übernahme des „Mavericks“ Tele.ring durch T-Mobile, wodurch sich die Zahl der in Österreich verbleibenden Mobilfunkunternehmen von fünf auf vier reduzierte.

Der Fall CK Telecoms

Der jüngste Fall, der nunmehr den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftigt, betraf die geplante Übernahme von Telefónica UK („O2“) durch Hutchison 3G UK („Three“). Die Europäische Kommission untersagte die Transaktion wegen befürchteter nicht koordinierter Auswirkungen, wobei der Zusammenschluss nicht zu einer marktbeherrschenden Stellung des fusionierten Unternehmens führen würde.

Auf Klage von Three (später „CK Telecoms“) erklärte das Gericht der Europäischen Union(EuG) diesen Beschluss für nichtig. Die Europäische Kommission hätte in mehreren Hinsichten falsch geurteilt und einen zu niedrigen Beweismaßstab gewählt, meinte das EuG. Der Umstand, dass sich infolge der Übernahme der Wettbewerbsdruck auf die übrigen Mitbewerber verringert, sei nicht ausreichend, um eine erhebliche Verschlechterung wirksamen Wettbewerbs anzunehmen. Außerdem bezweifelte das EuG, dass es sich bei Three tatsächlich um einen wesentlichen Markteilnehmer handelt. Gegen die Entscheidung des EuG legte die Europäische Kommission ein Rechtsmittel ein.

In den jüngst veröffentlichten Schlussanträgen schlägt Generalanwältin Kokott dem nun zur Entscheidung berufenen EuGH vor, das Urteil des EuG aufzuheben. Ihres Erachtens sei das EuG von einem zu strengen Beweismaßstab ausgegangen, indem es forderte, die Nachweise der Kommission müssten mit „ernsthafter Wahrscheinlichkeit“ nachteilige Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb belegen. Tatsächlich sei nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert – dies gelte unabhängig von der Komplexität des Kausalzusammenhangs, der zu den behaupteten Wettbewerbswirkungen führt (Rn 57 ff). Weiters habe das EuG darin geirrt, die in einem Erwägungsgrund der FKVO angeführten Untersagungsvoraussetzungen (1. Beseitigung des Wettbewerbsdrucks, den die Zusammenschlussparteien aufeinander ausgeübt haben; 2. Minderung des Wettbewerbsdrucks auf die verbleibenden Wettbewerber) als kumulative und abschließende Kriterien anzusehen. Weder müssten die Kriterien kumulativ vorliegen noch enthielten sie eine abschließende Regelung, weshalb die Europäische Kommission auch sonstigen Schadenstheorien nachgehen könne (Rn 72 ff). Zudem seien die vom EuG aufgestellten Anforderungen an die Einstufung eines Unternehmens als „wichtige Wettbewerbskraft“ überzogen. Ein als „wichtige Wettbewerbskraft“ eingestuftes Unternehmen müsse sich hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht von seinen Wettbewerbern unterscheiden und auch keinen „besonders aggressiven Preiswettbewerb“ verfolgen, der Wettbewerber zwingt, sich diesen Preisen anzupassen (Rn 106 ff). Ferner hat das EuG nach Ansicht von Generalanwältin Kokott geirrt, wenn es die Wettbewerbsnähe nur dann als relevant für die Feststellung einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs ansehen wollte, wenn der Zusammenschluss zwischen „besonders nahen Wettbewerbern“ erfolgt (Rn 115 ff).

Konsequenzen für die Praxis

Sollte der EuGH sich in seiner Rechtsmittelentscheidung Generalanwältin Kokott anschließen, könnten die Freigabechancen in oligopolistisch strukturierten Märkten weiter sinken. Innerhalb Österreichs sollte dieser Fall Beachtung finden, da der Gesetzgeber mit dem KaWeRÄG 2021 den SIEC-Test als (zusätzlichen) Prüfmaßstab für Zusammenschlüsse im Kartellgesetz verankert hat und österreichische Wettbewerbsbehörden auch ohne formale Bindung an die für die FKVO aufgestellten Erfordernisse ihre Praxis vermutlich nach jener der EU-Wettbewerbsbehörden ausrichten werden.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

20. Februar 2023

 
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