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Thomas Baumgartner erklärt im Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ was auf österreichische Unternehmen im Bereich Lieferkettensorgfaltspflichten zukommt und wie sie sich am besten darauf vorbereiten.
Kinder- und Zwangsarbeit, Ausbeutung von Minderheiten, illegale Rodungen oder irreversible Zerstörungen der Natur sind in globalen Lieferketten leider immer noch keine Seltenheit. Wenn es nach den Vorstellungen der EU geht, sollen Unternehmen nunmehr strenger in die Pflicht genommen werden, genauer hinzusehen und Derartiges in ihren Lieferketten zukünftig nicht mehr zu dulden.
Deutschland ist hier schon einen Schritt weiter. Seit Jahresbeginn gilt dort das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“). In der Praxis erleben wir derzeit schon aufgrund des deutschen LkSG erhebliche Auswirkungen auf österreichische Zulieferbetriebe. Spätestens mit Inkrafttreten des EU-Lieferkettenrechts werden künftig alle größeren österreichischen Unternehmen unmittelbar und kleinere Betriebe mittelbar von den Lieferkettensorgfaltspflichten betroffen sein.
In den vergangenen Monaten hat der Prozess wieder an Fahrt aufgenommen. Derzeit liegen drei unterschiedliche Entwürfe vor: einer vom Rat der Europäischen Union, einer der EU-Kommission und einer vom Europäischen Parlament. Die Entwürfe unterscheiden sich in der Reichweite und Ausgestaltung der Verpflichtungen teilweise erheblich. Das gemeinsame Ziel ist, mit der Richtlinie die Gewährleistung eines Mindeststandards in Hinblick auf Menschenrechte und Umweltschutz entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu etablieren. Betroffenen soll zudem ein Beschwerdeverfahren ermöglicht werden und es sollen auch gesonderte Regelungen für eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen eingeführt werden.
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll das EU-Lieferkettengesetz für Unternehmen ab 500 Arbeitnehmer*innen und einem weltweiten jährlichen Umsatz von EUR 150 Mio. gelten. Das EU-Parlament will alle Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über EUR 40 Mio. verpflichten. Einigkeit besteht, dass für gewisse Risikosektoren, wie beispielsweise die Bergbaubranche oder die Textilindustrie, geringere Schwellenwerte gelten sollen.
Dass KMUs nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich fallen, heißt nicht, dass Sie vom Lieferkettengesetz nicht betroffen sein werden. Sie werden vielmehr indirekt sogar sehr stark betroffen sein. Denn verpflichtete Unternehmen müssen nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards im eigenen Geschäftsfeld sicherstellen, sondern auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. KMUs, die als Geschäftspartner von unmittelbar betroffenen größeren Unternehmen agieren, werden so indirekt auch mit umfassenden Lieferkettensorgfaltspflichten konfrontiert sein. Daher empfiehlt es sich auch für KMUs, sich frühzeitig mit der Thematik auseinanderzusetzen und entsprechende Prozesse zu implementieren und Vorkehrungen zu treffen.
Aktuell laufen die sogenannten Trilog-Verhandlungen der EU-Institutionen, um sich auf einen gemeinsamen finalen Textvorschlag zu einigen. Dem Vernehmen nach soll eine Einigung noch vor den EU-Parlamentswahlen im Juni 2024 erzielt werden. Den Mitgliedsstaaten bleibt dann eine Frist von voraussichtlich zwei Jahren, um die EU-Lieferketten-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Vor 2025 ist daher wohl nicht mit einem eigenen österreichischen Lieferkettengesetz zu rechnen.
Das LkSG ist grundsätzlich nur auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland anzuwenden, die mindestens 3.000 Arbeitnehmer*innen beschäftigen. Mit Anfang nächsten Jahres wird dieser Schwellenwert dann auf 1.000 Arbeitnehmer*innen gesenkt und der Anwendungsbereich nochmals massiv ausgeweitet. Wir sprechen dann von ungefähr 3.000 Unternehmen, die unmittelbar durch das LkSG verpflichtet werden – das ist schon eine ganze Menge.
In unserer Beratungspraxis merken wir, dass auch immer mehr österreichische Unternehmen mittelbar von dem deutschen Gesetz betroffen sind. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Deutschland, werden österreichische Unternehmen regelmäßig mit Anfragen von verpflichteten deutschen Unternehmen im Kontext Lieferketten-Compliance konfrontiert. Die Tendenz in der Praxis geht dahin, dass österreichische Zulieferbetriebe nicht nur dazu verpflichtet werden, den Lieferantenkodex ihrer Kunden zu akzeptieren, sondern auch dazu, die Verpflichtungen entlang der eigenen Lieferkette weiterzugeben. Hinzu kommt, dass Unternehmen auch oftmals mit Schulungs- und Auditierungsklauseln in Lieferverträgen konfrontiert werden.
Aus Sicht des deutschen Unternehmens handelt es sich bei diesen Anfragen und Verpflichtungsklauseln in der Regel um ein berechtigtes Anliegen. Denn diese sind bei entsprechender Risikolage gesetzlich zu angemessenen Präventivmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Lieferanten verpflichtet. Gleichzeitig sollten die österreichischen Zulieferer aber stets sicherstellen, von den geforderten Verpflichtungen und Zusicherungen nicht benachteiligt zu werden.
Um diesem Risiko entgegenzutreten sollten Unternehmen in einem ersten Schritt ihre eigene Lieferkette analysieren, um dann gezielte Präventionsmaßnahmen in die eigenen Geschäftsprozesse implementieren zu können. Dabei muss nicht immer das Rad neu erfunden werden. Oftmals reicht es aus, bereits bestehende Prozesse zu adaptieren bzw. diese um die Aspekte Lieferketten-Compliance zu erweitern. Um zu verhindern, dass unzählige (unterschiedliche) Lieferantenkodizes weitergereicht werden müssen, wäre es zudem sinnvoll, sich Selbstverpflichtungen aufzuerlegen, etwa durch einen eigenen Code of Conduct für Lieferanten und entsprechende Schulungsprogramme. Gegenüber dem deutschen Vertragspartner kann dann auf die eigenen Compliance-Strukturen verwiesen werden.
Ja, die gibt es. Der Handlungsspielraum hängt aber natürlich von der jeweiligen Verhandlungsmacht ab. Gegenüber strategisch wichtigen Kunden werden Unternehmen wohl weniger hart auftreten können, als gegenüber kleineren, weniger bedeutenden Kunden. Grundsätzlich gilt, dass nur Unternehmen, die eigene Compliance-Strukturen aufbauen, die auch die Lieferketten in den Blick nehmen, in der Lage sein werden, sich in den Verhandlungen mit ihren Geschäftspartnern gut zu positionieren. Wer mit leeren Händen in die Verhandlungen geht, wird am Ende mit einem vollen Korb an Verpflichtungen und Auflagen wieder hinausgehen.
Das Lieferkettengesetz könnte in diesem Bereich durchaus einen positiven Nebeneffekt mit sich bringen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Lieferketten aus dem Gleichgewicht geraten können. Schwer getroffen hat dies vor allem Zulieferer, da diese aufgrund von Just-in-Time-Verträgen plötzlich ohne Aufträge und damit verbunden auch ohne Einnahmen dastanden. Dies hätte zum Teil wohl dadurch verhindert werden können, wenn bereits entsprechende Risikomanagement-Prozesse mit Hinblick auf die hochkomplexen globalen Lieferketten ausreichend implementiert gewesen wären. Viele Unternehmen realisieren erst, wo ihre Rohstoffe tatsächlich herkommen, wenn es zu Lieferengpässen oder sogar –ausfällen kommt.
Durch das Lieferkettengesetz werden Unternehmen dazu gezwungen, sich mit den Risiken entlang der Lieferkette gesamtheitlich auseinanderzusetzen und ein Risikomanagement einzurichten. Durch regelmäßige Risikoanalysen können Schwachstellen identifiziert und im Weiteren erfolgreich minimiert werden.
Meiner Ansicht nach werden mit dem EU-Lieferkettengesetz staatliche Lenkungsaufgaben auf private Unternehmen ausgelagert. Wenn der Gesetzgeber diese Brücke schlägt, ergibt sich leider oftmals ein schwer fassbarer Mix aus großer Verantwortung und scheinbar ausufernden Verpflichtungen für betroffene Unternehmen. Dies führt zu großer Verunsicherung bei den Unternehmen, da oftmals unklar bleibt, wie die praktische Umsetzung erfolgen soll. Dennoch sollten die österreichischen Unternehmen diese Entwicklungen nutzen, um sich proaktiv mit den Risiken in ihren Lieferketten auseinanderzusetzen und entsprechende Compliance-Strukturen zu implementieren bzw. bestehende Prozesse punktuell anzupassen.
Thomas Baumgartner listet hier die 10 wesentlichsten Punkte für Ihr Unternehmen auf:
Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.
Das Interview erschien am 18. Oktober 2023 in der Tageszeitung „Die Presse“.
18. Oktober 2023