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Life Sciences & Gesundheitsrecht

Grenzüberschreitende Telemedizin vor dem EuGH – Herkunfts- oder Bestimmungslandprinzip?


Autorinnen: Gisela Ernst und Dominique Korbel

Telemedizin ist international und national auf dem Vormarsch. So zukunftsträchtig und wertvoll diese Verfahren für die Gesundheitsversorgung sind, so schwierig gestaltet sich oftmals ihre rechtliche Einordnung: sowohl national als auch auf Unionsebene.

Die unionsrechtlichen Fragen sind dabei einerseits sekundärrechtlicher Natur. Hier stellt sich einerseits die zentrale Frage was als Telemedizin im Rahmen des Unionsrechtsgefüges zu verstehen ist und ob das Unionsrecht die Ausübung von Telemedizin regelt. Dabei ist die Anwendbarkeit der Patientenmobilitätsrichtlinie (RL 2011/24/EU), der Berufsanerkennungsrichtline (RL 2005/36/EG) und der E-Commerce Richtlinie (RL 2000/31/EG) zu prüfen. Andererseits stellt sich auf primärrechtlicher Ebene die Frage, ob nationale Bestimmungen, die die Ausübung von Telemedizin näher regeln, die Ausübung der Grundfreiheiten (insbesondere die Niederlassungsfreiheit) beeinträchtigten.

All diese Fragen sind Gegenstand eines aktuellen Vorabentscheidungsverfahrens (EuGH C-115/24), an dem unsere Kanzlei beteiligt ist. Die kürzlich veröffentlichten Schlussanträge des Generalanwalts nehmen eine vorläufige Einordnung dieser Fragen vor und zeigen eine erste Tendenz. Die Einschätzung des Generalanwalts lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Wenn Leistungen, wie im Ausgangsfall, teilweise auch physisch (bei gleichzeitiger Anwesenheit von Ärzt:in und Patient:in) erbracht werden, und nicht rein mittels IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie), liegt nach Ansicht des Generalanwalts keine Telemedizin iSd RL 2011/24/EU vor. Maßgeblich ist, dass die Leistungen untrennbar akzessorisch verbunden sind. Nur bei Leistungen, die ausschließlich mittels IKT erbracht werden, handelt es sich um Telemedizin.
  • Für solche „rein“ telemedizinischen Leistungen normiert nach Ansicht des Generalanwalts Art 3 lit d der RL 2011/24/EU, dass das Recht jenes Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist (Herkunftslandprinzip). Dies gilt nicht nur für die Frage der Kostenerstattung, sondern auch für die Standards und Qualitätssicherungsmaßnahmen für diese Gesundheitsdienstleistungen.
  • (Rein) telemedizinische Leistungen sind nach Ansicht des Generalanwalts als Dienste der Informationsgesellschaft anzusehen, die der RL 2000/31/EG unterliegen. Auch nach diesem Regime gelte für den hier vorliegenden koordinierten Bereich das Herkunftslandprinzip. Art 3 der RL 2000/31/EG verbiete zudem, dass einem Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der diesen Dienst in einem anderen Mitgliedstaat erbringen möchte, von diesem anderen Mitgliedstaat in den koordinierten Bereich fallende Anforderungen auferlegt werden.
  • Bezüglich der Berufsanerkennungsrichtlinie führt der Generalanwalt aus, dass durch das Angebot telemedizinischer Leistungen kein „Sich Begeben“ in einen anderen Mitgliedstaat iSd Art 5 Abs 3 der RL 2005/36/EG vorliegt, hierfür wäre ein physischer Grenzübertritt Voraussetzung. Anforderungen des Bestimmungsmitgliedstaats (in dem die telemedizinischen Leistungen „konsumiert“ werden) dürfen Leistungserbringern daher nicht entgegengehalten werden.
  • Im Rahmen der Prüfung der Grundfreiheiten sind für den Generalanwalt im konkreten Fall einige Aspekte fraglich, etwa ob im Ausgangsfall (physische Leistungen durch behandelnde Zahnärztin) überhaupt eine grenzüberschreitende Tätigkeit vorliegt, da das deutsche Unternehmen durch die in Österreich tätige Zahnärztin als in Österreich ansässig betrachtet werden könnte.
  • Wenn man diese Frage bejaht, ist zu prüfen, ob nationale Vorschriften (hier: die verlangen, dass die „Gruppenpraxen“, in deren Rahmen die Zahnärzt:innen ihren Beruf ausüben können, in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung tätig sein müssen und dass alle Gesellschafter:innen zur selbständigen Berufsausübung berechtigte Angehörige des zahnärztlichen Berufs sind) die Niederlassungsfreiheit einschränken und falls ja, ob eine solche Einschränkung gerechtfertigt ist.
  • Bezüglich der Rechtfertigungsmöglichkeit solcher nationalen Vorschriften im Sinne der öffentlichen Gesundheit verweist der Generalanwalt auf mehrere Quellen, die darauf hindeuten, dass auch in diesem Fall vor dem Hintergrund des Schutzes der öffentlichen Gesundheit eine Rechtfertigungsprüfung positiv ausfallen würde.

Der Generalanwalt beantwortet also die lang diskutierte Frage, ob bei grenzüberschreitender Telemedizin das Herkunftslandsprinzip oder das Bestimmungslandprinzip gilt, zusammenfassend deutlich im Sinne des Herkunftslandprinzip. Ist eine Leistung in jenem Mitgliedstaat, von dem aus therapiert wird, zulässig, dann darf sie grenzüberschreitend mittels IKT in einen anderen Mitgliedstaat erbracht werden. Dies gilt allerdings nicht für Leistungen, die teilweise auch physisch erbracht werden, da diesfalls keine Telemedizin vorliegt.

Ob der EuGH diesen Einschätzungen des Generalanwalts folgen wird, bleibt abzuwarten. Auch bleiben für alle Anbieter:innen von Telemedizin und für all jene, die mit Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens betraut sind, noch einige Folgefragen offen. Die Entscheidung wird von maßgeblicher Relevanz weit über das Anlassfahren hinaus sein.

Gerne halten Sie unsere Gesundheitsrechtsexpert:innen zu all diesen Entwicklungen auf dem Laufenden und stehen für weitere Fragen rund um die Themen Telemedizin und Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

Weitere Informationen zum Rechtsgebiet

Autorinnen

Gisela Ernst

Rechtsanwaltsanwärterin
Dominique Korbel

Dominique Korbel

Rechtsanwaltsanwärterin
 

14. Mai 2025

 
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