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EuGH: Mehrfachbeteiligung verbundener Unternehmen als Ausschlussgrund


In einer aktuellen Entscheidung befasst sich der EuGH (neuerlich) mit der Frage, ob verbundene Unternehmen, die sich an ein und derselben Ausschreibung beteiligen, vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen.

Was war passiert?

Ein Landkreis in Bayern schrieb öffentliche Busverkehrsdienstleistungen zur Vergabe aus. An dem Verfahren beteiligten sich sowohl eine natürliche Person als auch eine Gesellschaft, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter diese natürliche Person war.

Der ausschreibende Landkreis schied beide Bieter wegen des angeblichen Verstoßes gegen Wettbewerbsregeln aus dem Verfahren aus. Die beiden Bieter riefen die Vergabekammer Südbayern an, welche die Entscheidung aufhob. Das vom Landkreis wegen dieser Entscheidung angerufene Bayerische Oberste Landesgericht legte die Sache dem EuGH vor.

Was wollte das vorlegende Gericht wissen?

Das Bayerische Oberste Landesgericht wollte vom EuGH wissen, ob zwei Bieter in einer Situation wie jener des Ausgangssachverhalts vom Verfahren ausgeschlossen werden dürfen.

Nach Art 57 Abs 4 Unterabs 1 lit d der Vergabe-RL können nämlich Bieter vom Verfahren ausgeschieden werden, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfügt, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen. Die Sektoren-RL enthält keine eigenen Ausschlussgründe, sondern verweist diesbezüglich auf die Vergabe-RL.

Es braucht mindestens zwei Personen für ein Kartell …

Eine Absprache von zwei oder mehr Unternehmen über das Abgabeverhalten in einem Vergabeverfahren wird (mit Ausnahme notwendiger Bietergemeinschaften oder einer Beteiligung als Subunternehmer) regelmäßig den Verdacht einer Wettbewerbsverzerrung (mögliches Submissionskartell) begründen. Die nationale (deutsche) Umsetzung des Art 57 Abs 4 Unterabs 1 lit d Vergabe-RL übernimmt im Zusammenhang mit dem Begriff der Wettbewerbsverzerrung im Wesentlichen die Umschreibung eines Kartells (§ 1 dGWB, Art 101 AEUV). Ein Kartell – also eine zwischen Unternehmen wettbewerbswidrig abgestimmte Verhaltensweise – braucht wesensnotwendig zumindest zwei Unternehmen (oder wie ein US-Richter in einem anderen Zusammenhang einst formulierte: „it takes at least two to tango for conspiracy purposes“). Zwei Gesellschaften, die unter einheitlicher Leitung stehen, werden im Kartellrecht jedoch nur als ein Unternehmen angesehen, sodass eine wettbewerbswidrige Absprache oder Verhaltensweise iSd Kartellverbots zwischen ihnen nicht möglich ist.

… aber es braucht kein Kartell für einen Ausschluss

Allerdings urteilte der EuGH nun, dass Art 57 Abs 4 Unterabs 1 lit d Vergabe-RL zwar Verstöße gegen das Kartellverbot erfasse, aber nicht darauf beschränkt sei (Rn 51). Für Österreich ist diese Feststellung vor allem auch deshalb interessant, weil der Gesetzgeber in der nationalen Umsetzung der Bestimmung (§ 78 Abs 1 Z 4 BVergG) den – nach der Richtlinie fakultativen – Ausschlussgrund zulässigerweise zu einem zwingenden Ausschlussgrund gemacht hat und nun etwa gefragt werden könnte, ob auch ein Verstoß gegen das Marktmachtmissbrauchsverbot oder den lauteren Wettbewerb einen (zwingenden) Ausschluss begründet.

Zudem – und das war vorliegend entscheidend – wäre es den Mitgliedstaaten zwar untersagt, weitere Ausschlussgründe aufgrund fehlender Eignung als jene in Art 57 Abs 4 Vergabe-RL genannten vorzusehen (Rn 54), es sei ihnen jedoch nicht verwehrt, aus anderen Gründen des materiellen Rechts die Nichtberücksichtigung von Teilnahmeanträgen oder das Ausscheiden von Angeboten vorzusehen (Rn 58). So wäre es etwa mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar, wenn miteinander verbundene Bieter abgesprochene Angebote einreichen könnten, wenn sie dadurch gegenüber anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile erfahren würden (Rn 59). Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre es jedoch geboten, in einem Fall wie dem Ausgangssachverhalt „eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der einzelnen […] Angebote konkret beeinflusst hat, wobei die Feststellung eines solchen wie auch immer gearteten Einflusses ausreicht, um die betreffenden Einheiten von dem Verfahren ausschließen zu können“ (Rn 60).

Konsequenzen für die Praxis

Mit der jüngsten Entscheidung schreibt der EuGH seine bisherige Judikatur zur Mehrfachbeteiligung von Bietern in einem Vergabeverfahren fort (siehe etwa EuGH 08.02.2018, C-144/17, Lloyd’s of London, Rn 38; EuGH 17.05.2018, C-531/16, Assitur, Rn 26, 29). Auch die Entscheidungspraxis innerstaatlicher Verwaltungsgerichte und des Verwaltungsgerichtshofs erweist sich weiterhin als mit dieser Judikatur vereinbar.

So ist zwar die Legung zweier der Ausschreibung entsprechender Angebote, die sich nur im Preis unterscheiden, vergaberechtlich nicht zulässig, weil der Bieter hier versuchen könnte, je nach Ergebnis der Angebotsöffnung sein niedrigstes Angebot entweder zB wegen Unterpreisigkeit ausscheiden zu lassen oder es als zu wertendes Angebot darzustellen (VwGH 18.06.2012, 2010/04/0011). Weisen die Angebote desselben Bieters (oder verbundener Bieter) hingegen einen bewertungsrelevanten Unterschied auch in der angebotenen Leistung auf, spricht grundsätzlich nichts gegen die Berücksichtigung beider Angebote. Das setzt allerdings auch voraus, dass der Bieter auf Grund der Ausschreibung den Leistungsgegenstand (oder Teile davon) selbst festlegen kann und die Qualität dieser selbst festgelegten Leistung im Rahmen der Bestbieterermittlung bewertet wird (VwGH 27.02.2019, Ra 2016/04/0103).  Im Übrigen können die Beziehungen verbundener Unternehmen, durch vertragliche Vorgaben geregelt werden, die geeignet sind, bei der Ausarbeitung von Angeboten, die die betreffenden Unternehmen im Rahmen ein und derselben Ausschreibung gleichzeitig abgeben, sowohl die Unabhängigkeit als auch die Vertraulichkeit zu gewährleisten. (EuGH 17.05.2018, C-531/16, Assitur, Rn 26, 31)

Das bedeutet zusammengefasst:

  • Ein automatischer Ausschluss eines Bieters aufgrund einer Mehrfachbeteiligung (auch in unterschiedlichen Konstellationen, etwa als Mitglied einer Bietergemeinschaft und als Subunternehmer) ist in aller Regel nicht zulässig. Das gilt umso mehr für eine Konstellation, in der sich verbundene Unternehmen an derselbenAusschreibung beteiligen.
  • Der Auftraggeber hat jedoch durch Prüfung der beruflichen Zuverlässigkeit sicherzustellen, dass zwischen Bietern keine wettbewerbsverzerrenden Abreden getroffen wurden.
  • Der/die betroffene/n Bieter müssen dabei die Möglichkeit erhalten, nachzuweisen, dass die Angebote völlig unbeeinflusst voneinander formuliert worden sind und eine Wettbewerbsverzerrung oder Ungleichbehandlung daher nicht zu befürchten ist.

Betrifft: EuGH 15.09.2022, C-416/21, J. Sch. Omnibusunternehmen and K. Reisen

Für die Beantwortung weiterer Fragen zu diesem Thema steht Ihnen unser Experte Alexander Hiersche vom Team Kartell- und Beihilfenrecht gerne telefonisch oder unter akut@hnp.at zur Verfügung.

Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

21. September 2022

 
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