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Durchbruch im Nebenprodukte- und Abfallenderecht?


Die jüngst veröffentlichten Schlussanträge der Generalanwältin Medina lassen viele in der Abfallwirtschaft aufhorchen. Diese gelangt in einem EuGH-Verfahren zu Ergebnissen, die in der abfallwirtschaftlichen Vollziehung bislang undenkbar waren.

Ausgangslage

Anlass für das österreichische Vorabentscheidungsersuchen ist ein Bescheid der BH Graz-Umgebung. Diese hat festgestellt, dass nicht kontaminiertes Aushubmaterial, das von einem Bauunternehmen an Landwirte übergeben und von diesen zu landwirtschaftlichen Zwecken auf Grundstücke aufgebracht wurde, Abfälle nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) darstellt. Begründet hat sie dies damit, dass das Material die Abfalleigenschaft nach § 5 AWG 2002 nicht verloren habe, weil Formalkriterien nach dem BAWPL 2011 nicht eingehalten worden seien. Dieser Bescheid wurde vom Bauunternehmen bekämpft.

Vorlagefragen

Das über die Beschwerde erkennende LVwG Steiermark hat das Beschwerdeverfahren ausgesetzt und dem EuGH drei Vorlagefragen gestellt. Diese stellen im Kern darauf ab, ob es der EU-Abfallrahmen-RL widerspricht, dass nicht kontaminiertes Aushubmaterial nur durch eine unmittelbare Substitution eines Primärrohstoffes die Abfalleigenschaft verliert.  

Vorläufige Ergebnisse

Die Generalanwältin („GA“) kommt in ihren Schlussanträgen zu folgenden Ergebnissen:

  • Das in Rede stehende Aushubmaterial ist nicht als Abfall, sondern als Nebenprodukt anzusehen, wenn alle relevanten Voraussetzungen erfüllt sind (Rn 52f der Schlussanträge).
  • Bestimmte Bodenbeprobungen sind als „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ zu qualifizieren (Rn 69 der Schlussanträge).
  • Soweit das Ende der Abfalleigenschaft nur dann eintreten kann, wenn Aushubmaterial der höchsten Qualitätsklasse unmittelbar als Ersatz für Rohstoffe verwendet wird, ist dies unionsrechtswidrig (Rn 75 der Schlussanträge).
  • Formalkriterien ohne Umweltrelevanz (zB Dokumentationspflichten) können dem Eintritt des Abfallendes nicht entgegenstehen (Rn 80 der Schlussanträge).

Fazit

Die Rechtsansicht der GA wird vor allem von jenen begrüßt, die § 5 Abs 1 AWG 2002 als überschießend und zu rigoros angesehen haben. Dass die österreichische Abfallenderegelung unionsrechtswidrig ist, hat sich – entgegen anderer Fachmeinungen – auch nicht aus dem 2020 ergangenen EuGH-Urteil in der Rs Sappi ergeben (weiterführend Krasznai/Nigmatullin, RdU-UT 2022/14, 60).

Die GA vertritt im Übrigen Rechtsauffassungen zur Nebenprodukteigenschaft und Vorbereitung zur Wiederverwendung, die sich nicht mit der bisherigen Auslegung der österreichischen Behörden sowie der Verwaltungs- und Höchstgerichte decken: Nach österreichischer Auslegung könne ein „Nebenprodukt“ lediglich bei industriellen Herstellungsverfahren anfallen. Bodenaushubmaterial, das idR bei Bauvorhaben anfällt, erfüllt somit nicht die Nebenprodukteeigenschaft. Der österreichische Gesetzgeber hat zudem ausdrücklich festgehalten, dass die Untersuchung von Bodenaushubmaterial – entgegen der nunmehrigen Ansicht der GA – keine Vorbereitung zur Wiederverwendung darstelle.

Es ist mit Spannung zu erwarten, ob der EuGH letztlich der Rechtsansicht der GA folgt. Falls ja, könnte dies eine 180°-Wende im Nebenprodukte- und Abfallenderecht bewirken.  

Wir bleiben für Sie dran und halten Sie auf dem Laufenden!

Disclaimer

Für die Beantwortung von Fragen zu diesen Themen stehen Ihnen unsere Experten Reka Krasznai und Emil Nigmatullin gerne telefonisch oder unter akut@hnp.at zur Verfügung.

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.

 

7. September 2022

 
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